Kraft und Freundlichkeit vereint – die Linde als Heilpflanze

Die Linde ist Sinnbild für Gemeinschaft wie für Gerechtigkeit und vereint in sich große Kraft mit unaufdringlicher Hilfsbereitschaft. Bekannt als sanftes Erkältungsmittel schreibt man ihr auch entzündungshemmende, harntreibende, blutreinigende und entspannende Wirkungen zu.

Über ihr Äußeres

Linde an einem Feldweg © Gabriele Hanke

Linde an einem Feldweg © Gabriele Hanke

Knorrige Äste, die weit unten bereits vom mächtigen Stamm fortstreben. Ein dichtes Laubdach mit flach ausgebreiteten, schichtartig übereinander wachsenden Zweigen. Die Blätter nutzen jeden Zwischenraum, um das Sonnenlicht aufzunehmen. Dieser Baum kann, wenn ihm Raum gegeben wird, über 30 m hoch werden und erreicht bei guten Bedingungen ein Alter von bis zu 1.000 Jahren. Solch ein Riese fordert Respekt und ein gewisses Maß an Ehrfurcht. Einen furchteinflößenden Eindruck wird dieser Baum jedoch nicht hinterlassen, denn sein Name ist Programm: Die Linde strahlt stets auch etwas Behagliches, Sanftes und Liebenswertes aus. Angefangen bei den Blättern mit ihrer Herzform, über die im Alter zwar raue und rissige Rinde, die jedoch nicht tief gefurcht und schroff wird, bis hin zur Krone, die in ihrer ausladenden, rundlichen Art einladend wirkt.

Mittelpunkt der Gesellschaft

Die Kaditzer Linde ist der älteste Baum in Dresden (schätzungsweise 800 bis 1.000 Jahren alt) © Gabriele Hanke

Die Kaditzer Linde ist der älteste Baum in Dresden (schätzungsweise 800 bis 1.000 Jahren alt) © Gabriele Hanke

Schon immer fühlten sich Menschen zu ihr hingezogen. Und da Sommer- und Winterlinden (Tilia platyphyllos & Tilia cordata) bereits vor den Eiszeiten in Europa heimisch waren 1, sind uns von den ersten Völkern dieser Gegend Geschichten überliefert, die von der Achtung vor diesem Baum und einem großen Vertrauen in seine Kräfte erzählen. Dabei fällt auf, dass die Linde stets in Verbindung mit dem Weiblich-Sanften, dem Mütterlichen und Geerdeten erscheint. Mit der Christianisierung wurden nicht nur die alten Götter verdrängt, auch ein neues Denken, ein anderes Weltbild hielten Einzug. Dem Vertrauen in die Lindenkraft konnte das keinen Abbruch tun, aus den der Göttin Freya geweihten Bäumen wurden Marienlinden. Ebenso erkennbar ist die über die Jahrhunderte gesuchte Nähe zu ihr als Schutz- und Freiheitsbaum. Die Germanen hielten Things (Volks- und Gerichtsversammlungen) unter Linden ab. Später pflanzten die Menschen sie bewusst in die Mitte ihrer Ortschaften, vor Kirchen oder Burgtore, wo sie heute als beeindruckende Naturdenkmale zu bestaunen sind. In ihrem Schatten suchte man nach Gerechtigkeit und Gemeinschaft. Nur scheinbar besteht ein Widerspruch zwischen ihrer Nutzung als Gerichts- und als Tanzlinde. Zusammenhalt kann nur dort sein, wo ein Jeder sich gerecht behandelt und geachtet fühlt. Aussprache und Konsensbildung sind Voraussetzung für ein entspanntes Miteinander.

Tanzlinde in Limmersdorf bei Kulmbach © Benreis

Tanzlinde in Limmersdorf bei Kulmbach © Benreis, Limmersdorf Tanzlinde 2014 (4), CC BY-SA 4.0

Tanzlinden wurden mitunter extra so gezogen und beschnitten, dass sich die untersten Äste besonders kräftig und gleichmäßig verteilt entwickelten, sodass auf ihnen eine Bretterbühne gezimmert werden konnte und etwa drei Musiker und 5–10 Paare inmitten des Grüns dem Alltag „entschwebten“. Oder ein stabiles, auf dem Erdboden verankertes Gerüst und der Baum wurden harmonisch verbunden. Äste und Zweige verdeckten das von Hand Gefertigte und die entstehenden grünen Wände mit Fensteröffnungen schufen die Illusion eines wachsenden Festsaals2. In Limmersdorf bei Kulmbach können sich Interessierte einen eigenen Eindruck verschaffen. Diese Schnitt- und Wuchs-Eigenschaften kamen beispielsweise Mitte des 18. Jh. auch in Weimar zum Tragen, als im Park an der Ilm eine hölzerne Aussichtsplattform – die Schnecke – malerisch von Lindenzweigen umrahmt den Mittelpunkt zahlreicher Feste bildete3.

Erstaunliche Lebenskraft

Neben der guten Schnittverträglichkeit kommt der Linde hier ebenfalls ihre außergewöhnliche Vitalität zugute. Sind die Lichtverhältnisse optimal, treibt sie zweimal im Jahr4. Ihr Drang zu wachsen sorgt dafür, dass am Stamm und sogar aus der Wurzel immer wieder neue Zweige sprießen. Selbst ein komplett gefällter Baum – ein auf den Stock gesetzter – wird innerhalb kurzer Zeit „zu neuem Leben erwachen“. Linden vermehren sich daher nicht nur über ihre Samen, sondern auch auf vegetative Art. Diese enorme Energie ist eine der Ursachen, warum sie ein biblisches Alter erreichen können. Zum anderen bildet die Linde, da ihr Holz schnell fault, im Innern hohler Stämme Adventivwurzeln5, welche sich, gleich Luftwurzeln, aus dem gesunden Holz nach unten ausbreiten, im Erdreich verwurzeln und dem Ganzen neuen Halt geben.

Die Besonderheit des Holzes

Thronende Madonna mit Kind, sog. Tittmoninger Madonna, Salzburg, ca. 1430–35, Lindenholz, Salzburg Museum © Wikimedia Commons, gemeinfrei

Thronende Madonna mit Kind, sog. Tittmoninger Madonna, Salzburg, ca. 1430–35, Lindenholz, Salzburg Museum © Wikimedia Commons, gemeinfrei

Auch an dieser Stelle lässt sich die Verknüpfung zweier scheinbar gegensätzlicher Merkmale dieser Pflanze beobachten, denn ihrer Lebenskraft an die Seite gestellt ist ein rascher Zersetzungsprozess. Sowohl das Holz als auch die Blätter stehen dem Stoffkreislauf damit beizeiten wieder zur Verfügung. Und da das schnell gewachsene Holz nur einen geringen Brennwert aufweist, bleibt lediglich die Weiterverwendung im Innenbereich zur Verfügung. Dort allerdings glänzt es mit so herausragenden Eigenschaften, dass es lange Jahre den Beinamen „Heiligenholz“ erhielt6. Das feinporige, homogene Lindenholz, einmal getrocknet, verändert sich kaum noch und kann in alle Richtungen gleichbleibend unkompliziert bearbeitet werden. Daher ist es seit jeher bei Schnitzern und Drechslern sehr beliebt. Neben Alltagsgegenständen wie Tellern, Schüsseln, Besteck und diversen Kistchen und Kästen, werden deshalb auch Krippenfiguren, Heiligenstatuen und Altarbilder daraus gefertigt.

Erwähnenswert ist ebenso die verhältnismäßig hohe Menge an Bast, die aus der Baumrinde gewonnen werden kann. Diese zähen, flexiblen Pflanzenfasern wurden vielseitig genutzt als Seile und Stricke, für Körbe, Schuhe, Matten und in frühesten Zeiten sogar verarbeitet zu Kleidung und Schutzschilden.

Zum Auftreten

Damit waren Linden über einen langen Zeitraum gefragte Bäume. In Nachbarschaft zu den im Mittelalter (und weit darüber hinaus) ebenfalls nachgefragten Eichen gedeihen sie auf frischen, tiefgründigen, kalkreichen Böden gut, wobei die Sommerlinde als anspruchsvoller beschrieben wird. Ihren Namen haben sie entsprechend ihrer unterschiedlich ausgeprägten Toleranz gegenüber Kälte bzw. Wärme zu verdanken. Während Tilia platyphyllos bis Zentralspanien, Süditalien und im Südosten bis zum Kaukasus vorstößt, Skandinavien hingegen meidet, kommt Tilia cordata mit weniger Wärme zurecht und breitet sich über England, Südnorwegen und -schweden bis zu den russischen Steppengebieten aus7. Beide heimische Arten gehören zu den Halbschatten-Baumarten und sind auch von Fachkundigen oft nur schwer zu unterscheiden, da sie sich im Aussehen stark ähneln, regionale Varianten ausbilden und die durch Kreuzung entstandenen Nachkommen sich wiederum vermehren.

Lindenblüte © Gabriele Hanke

Lindenblüte © Gabriele Hanke

Die Heilpflanze

Auch bezüglich ihrer pharmakologisch relevanten Inhaltsstoffe gleichen sich Sommer- und Winterlinde so, dass die Europäische Arzneimittelagentur eine Monografie für beide gemeinsam herausgegeben hat8. Diese beschreibt die Blüten inklusive ihrer Stiele und des angewachsenen pergamentartigen Flugblattes als Arzneidroge. Noch Anfang der 90er-Jahre führte die Kommission E des BfArM Monografien zu Lindenblättern, -holz und -holzkohle, allerdings bereits mit dem Hinweis, dass „die Wirksamkeit bei den beanspruchten Anwendungsgebieten […] nicht belegt“ sei9. Es wäre interessant, durch wissenschaftliche Studien die jahrhundertelange Anwendung bei Schnupfen, Husten, grippalen Infekten, Appetitlosigkeit, Darmentzündungen, aber auch Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Ischiasbeschwerden, Rheuma und anderen Beschwerden mehr verifizieren zu können. Bekannt sind bisher um die 60 verschiedene Inhaltsstoffe10. Der hohe Gehalt an Flavonoiden und deren Glykosiden, an ätherischen Ölen sowie von Schleim- und Gerbstoffen gilt als Ursache für die Wirksamkeit bei fieberhaften Erkältungen, Husten und Katarrhen der oberen Atemwege. Die beruhigenden, krampf- und schleimlösenden, leicht blutdrucksenkenden und entzündungshemmenden Effekte haben mit Sicherheit auch an anderen Stellen Einfluss auf unsere Gesundheit. Dabei muss betont werden, dass die Linde – ganz ihrem Wesen entsprechend – zu den Pflanzen zählt, welche nicht prompt und heftig anschlagen. Sie lindert Beschwerden sanft und behutsam, sodass sie vorrangig in Kombination mit anderen Pflanzen oder vorbeugend zur allgemeinen Vitalisierung genutzt wird.

Lindenallee © Gabriele Hanke

Lindenallee © Gabriele Hanke

Von ausgezeichneter Art

Bereits 1991 wurde die Sommerlinde zum „Baum des Jahres“ ernannt, einer der ersten überhaupt. 2016 folgte die Winterlinde11. Mit der Kür zur „Heilpflanze des Jahres“ 202512 will der NHV Theophrastus e. V. aufmerksam machen auf eine Heilpflanze der – trotz ihrer Größe – eher unscheinbaren Art. Als Straßen- und Parkbaum ist sie durchaus präsent, ebenso in unserer Kultur, denken wir beispielsweise an die vielen Liedtexte und Gedichte. Beinahe schon überladen wirkt sie auf den, der sie unter mythologischen und symbolischen Aspekten betrachtet. Im Wald gehört sie jedoch zu den dienenden Arten. An Bodenverhältnisse und Klimaveränderungen passt sie sich gut an. Sanftheit und Unaufdringlichkeit sind so eng mit ihr verknüpft, dass sie sich in ihrem Namen spiegeln. Ihre gesundheitsfördernden Eigenschaften geraten aufgrund sehr ähnlicher und stärkerer Wirkungen anderer Pflanzen (wie dem Holunder) in Vergessenheit. Dabei hat sie den Menschen schon immer auch auf der emotionalen Ebene angesprochen und sollte daher – gerade auch in Bezug auf ihre nervenstärkenden Eigenschaften und ihr verbindendes Wesen – wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Schließlich setzt die Linde unserer Hektik Ruhe entgegen und lässt uns freier atmen.

NHV Theophrastus, November 2024

Literatur:

https://www.paracelsus.de/magazin/ausgabe/202302/unsere-heilpflanze-5 vom 07.02.2024