Die Koloquinte wurde schon im Altertum als Heilpflanze genutzt – und wegen ihrer Giftigkeit gefürchtet. Sogar in der Bibel wird sie erwähnt, denn es ist vermutlich die Koloquinte, die im Buch der Könige (2. Kön. 4, 38 ff.) als extrem widerwärtig schmeckende Frucht vorgestellt wird. Sowohl der allopathische Einsatz, z. B. als drastisches Abführmittel oder Antirheumatikum, wie auch der homöopathische, z. B. bei Krämpfen der glatten Muskulatur, werden in der Literatur beschrieben. Aber auch tumorinhibierende Wirkungen werden der Pflanze seit langem nachgesagt und in moderner Zeit auch in Zelltests belegt. Letzteres war auch der Anlass für den Autor, diese interessante Pflanze intensiver zu untersuchen, ihre Inhaltsstoffe zu isolieren und die Struktur aufzuklären und auf therapeutische Einsatzmöglichkeiten in der Krebsbekämpfung zu testen.
Professor Dr. Rudolf Matusch, der in den 80er und 90er Jahren am Pharmazeutischen Institut der Universität von Marburg lehrte, hatte sich damals zum Ziel gesetzt, die schier unendliche Zahl von Pflanzeninhaltsstoffen als Quelle neuer, moderner Arzneimittel zu erschließen. In seinem Arbeitskreis erforschte der Autor, der sich diesen Ideen nur zu gerne anschloss, 4 Jahre lang die Chemie und die Pharmakologie der Cucurbitacine, die wissenschaftlich als die Hauptinhaltsstoffe der Koloquinte zu betrachten sind.
In seiner Dissertation von 1988 konnte der Autor die beträchtliche Zahl von 24 unterschiedlich abgewandelten Cucurbitacinen, direkt isoliert aus getrockneten Koloquintenfrüchten (Fructus Colocynthidis), beschreiben, von denen 12 erstmalig gefunden und in ihrer komplexen Struktur zweifelsfrei aufgeklärt wurden. Bei den Cucurbitacinen handelt es sich um hochsubstituierte Triterpenmoleküle, die im Falle der Koloquinte zudem noch als Mono- und Di-Glykoside vorliegen. Somit hat ein Molekül zwischen 30 und 42 Kohlenstoffatome und eine Summenformel von z. B. C42H62O14. Man kann sich vorstellen, wie viele sich teils überlappende Signale ein solches Molekül in der 1-H oder 13-C-NMR Spektroskopie erzeugt und wie kompliziert die Signalzuordnung und die davon abgeleitete Strukturaufklärung sein kann. Hierzu stand dem Autor glücklicherweise nicht nur fast ständig die seinerzeit beste Ausrüstung (ein 400 MHz Spektrometer, das auch 2 dimensionale Korrelationen erlaubte) zur Verfügung. Er hatte zudem das Glück, einen ausgewiesenen NMR Experten, Herrn Dr. Thomas Kämpchen, zum Lehrer zu haben. Auf diese Art gelang die hochaufgelöste Darstellung von NMR Spektren und die exakte Zuordnung aller Signale zu den jeweiligen Molekülbausteinen.
In mehreren Testreihen konnte denn auch die hohe Aktivität einiger Koloquinteninhaltsstoffe gegen bestimmte Krebszelllinien nachgewiesen werden. Die Wirksamkeit erreichte durchaus die Größenordnung damaliger Therapiestandards. Leider jedoch blieb den Cucurbitacinen und auch deren chemischen Abwandlungsprodukten ein therapeutischer Einsatz verwehrt, denn die unerwünschten Effekte ließen sich im Rahmen der Doktorarbeit nicht von der nützlichen Wirkung trennen. Nicht immer hat man das Glück, mit solchen Forschungen neue Arzneimittel zu gewinnen, die heutigen Zulassungskriterien entsprechen. Und doch lohnt sich die Arbeit. Es bleibt die Erkenntnis, dass viele empirisch in der Volksmedizin genutzte Pflanzen hochinteressante Inhaltsstoffe und Wirkungen haben, denen auf den Grund zu gehen eine spannende und befriedigende Aufgabe sein kann.
Einige Exemplare der Arbeit „Isolierung und Strukturaufklärung neuer pharmakologisch aktiver Cucurbitacine“, im Jahre 1988 vorgelegt von Hans-Jürgen Maskos, stehen dem NHV Theophrastus zur Verfügung.
Dr. Hans-Jürgen Maskos, 2012