Unser heutiges Deutsch weicht erheblich von der Ausdrucks- und Schreibweise des 16. Jahrhunderts ab, in der Paracelsus lebte. Tun wir uns doch schon schwer, den gewaltigen Prediger und Reformator Dr. Martin Luther im Original zu verstehen, der doch „dem Volke auf’s Maul schaute“, um für dieses mit seinem geistlichen Anliegen verständlich zu sein:
„Glaube ist eine lebendige / erwegene Zuversicht auf Gottes Gnade / so gewiß / daß er tausend Mal drüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade / machet fröhlich / trotzig und lüstig gegen Gott und alle Kreaturn / welchs der heilige Geist tut im Glauben. Da her ohn Zwang willig und lüstig wird jedermann Guts zu tun / jedermann zu dienen / allerlei zu leiden / Gott zu Liebe und zu Lob / der ihm solche Gnade erzeiget hat. Also daß ummüglich ist / Werk vom Glauben scheiden. Ja so ummüglich / als Brennen und Leuchten / vom Feur mag gescheiden werden.“
(M. Luther: Aus der Vorrede auf die Epistel an die Römer, 1546)
Viel mehr jedoch macht uns die Sprache des ‚lutherus medicorum‘, des Reformators der Medizin, zu schaffen:
„Und dergleichen so merken, daß der Glaub da nichts handelt, allein der Will. Vom Glauben zu reden oder einzureimen hierin, ist mehr närrisch denn weislich. Also merkt ein Exempel: Durch den Glauben mögen zween Mann einandern nit schlahen, allein durch die Tat. Also zween Geist des Willens kommen nit aus dem Glauben, sonder aus der Hitzikeit ihrer Männer. Die zween, die schlahent ohn Glauben wesentlich in ihren Kräften, als de fide et voluntate (= über den Glauben und den Willen) mehrers Verstands angezeigt und de vitonissis et incantationibus (= über Weihakte und Zauberformeln).“
(Paracelsus: Aus ‚Traktat über das Ens naturale‘)
Auf dem religiösen, Luthers ureigenstem Gebiet gab es schon vor ihm eine verfeinerte Sprachkultur, die von Seele zu Seele zu reden vermochte und dadurch auch vom Einfältigsten und Ungebildetsten verstanden, besser vielleicht erfühlt werden konnte. Luthers Bibelübersetzung brachte schließlich allen auch das schriftliche Wort nahe und ermöglichte so eine persönliche intensive Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre.
Paracelsus sah sich auf seinem, dem medizinischen Gebiet, noch größeren Schwierigkeiten gegenüber, die einerseits aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten kamen, andererseits seinem Lebenslauf und Charakter entsprangen.
Die Fachsprache der Ärzte war Latein, teilweise auch Griechisch, da die anerkannten Lehrbücher (z.B. von Hippokrates, Avicenna, Galen und Celsus) in diesen Sprachen verfasst waren und die medizinische Ausbildung an den Universitäten in lateinischer Sprache erfolgte.
Paracelsus aber wollte mit seinen Erkenntnissen alle Menschen erreichen und auch die würdigen, von denen er viel profitiert hatte: die Bader, Kräuterweiblein und Landbewohner. Neben der eigenen scharfsinnigen Beobachtungsgabe und intuitiven Erkenntnis der heilkräftigen Kräuter, Mineralien und Wässer waren sie in seinen langen Wanderjahren die wichtigste Erfahrungsquelle. Demzufolge lehrte er (erstmals 1527 in Basel) in deutscher Sprache und verfasste seine vielen Schriften auch überwiegend in Deutsch. Dabei hatte der Hohenheimer manche Hürde zu meistern und sich des Angriffs einer dünkelhaften Berufskollegenschar zu erwehren:
„Mir ist auch begegnet, daß ich den Krankheiten neue nomina gebe, die niemand erkenne noch verstehe: warum ich nit bleib bei den alten nominibus? Wie kann ich die alten nomina brauchen, dieweil sie nicht gehen aus dem Grund, aus dem die Krankheit entspringt? Sonder es sind nur Übernomina, die niemands weiß wahrhaftig, ob er die Krankheit mit denselbigen Namen recht nenne oder nicht.... So ich die Krankheit verstehe und erkenne, so kann ich dem Kind wohl selbst den Namen schöpfen. -- Damit ich aber mich verantwort, wie mein wunderliche Weis zu verstehen sei, merkent also. Von der Natur bin ich nicht subtil gespunnen. Ist auch nicht meins Lands Art, daß man was mit Seidenspinnen erlange. Wir werden auch nicht mit Feigen erzogen, noch mit Met, noch mit Weizenbrot, aber mit Käs, Milch und Haberbrot: es kann nicht subtil Gesellen machen... Dann dieselbigen in weichen Kleidern, und die in Frauenzimmern erzogen werden, und wir, die in Tannzapfen erwachsen, verstehent einander nit wohl. Darumb so muß der Grobe grob zu sein geurteilt werden, ob derselbig sich selbst schon gar subtil und holdselig zu sein vermeint. Also geschicht mir auch. Was ich für Seiden acht, heißen die andern Zwillich und Drillich.... Mein Fürnehmen ist, mit dem Maul nichts gewinnen, allein mit den Werken.“
(Zitiert aus: Septem Defensiones, 1538)
„Wie du redest, so ist dein Herz“
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, 1493–1541
Jede technische Erfindung erhält einen Namen: ein neuer Begriff ist geboren. Mit solch neuen Begriffen haben wir alle häufig zu tun. Was mussten und müssen wir allein auf dem Gebiete der Computertechnik an neuen (meist englischen) Begriffen in uns aufnehmen, ohne zum inneren Verständnis vordringen zu können. Das bleibt den Fachleuten vorbehalten.
Vergleichsweise stand auch Paracelsus zu seiner Zeit vor der äußerst schwierigen Aufgabe, den medizinischen Fachjargon so weit wie erforderlich nutzend, dennoch dem ‚gemeinen Volke‘ verständlich zu sein. Gleichzeitig musste er mit falschen Ansichten aufräumen und gegen oft himmelschreiende Unsauberkeit (selbst in Apotheken!) ankämpfen. Auf seinem harten Lebensweg gab es keine Gelegenheit, ‚subtile‘ Sprachkultur zu erlernen, und sein streitbares Temperament ließ keine zarten Töne zu. Schonungslos entlarvte er alles Faule und Verlogene auf medizinischem, aber auch philosophischem und sozialem Gebiet.
Was er zu lehren hatte, wusste er nur mit vielen Umschreibungen und Wiederholungen zu vermitteln, würzte seine Aussagen gern mit Schmähungen gegen die Irrlehren und die Hoffart der zeitgenössischen Medizin. Sein Hauptanliegen als Arzt war, die Krankheitsursachen, das Krankheitsbild und die entsprechenden Heilmittel zu beschreiben. Das vermochte er jedoch nicht in analytischer, streng sachlicher Schau vorzutragen, sondern stets mit persönlicher leidenschaftlicher Hingabe an die ganzheitliche Betrachtung des Menschen als Mikrokosmos im Makrokosmos, wurzelnd in einem tiefen christlichen Glauben. Dies alles erschwert das Studium seiner medizinischen Schriften nicht unerheblich.
Der Leser paracelsischer Originalschriften wird daher rasch zu der gleichen Einschätzung gelangen, wie sie Dr. Bernhard Aschner vornimmt: „Die Lektüre der aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammenden, nach Originalhandschriften hergestellten Huserschen Gesamtausgabe ... welche das altertümliche schwerfällige und oft schwer verständliche, fast noch mittelalterliche Schweizer Dialektdeutsch ... beibehalten hat, ist aber äußerst mühsam und anstrengend.“ (Dr. Bernhard Aschner: Paracelsus, Sämtliche Werke, Jena 1926)
Die Ausgabe „Paracelsus, Sämtliche Werke“ von Dr. Aschner 1926 fußt dankenswerterweise auf einer Übersetzung in neuzeitliches Deutsch und lässt den Leser wesentlich leichter in das Lehrgebäude des Paracelsus eindringen.
Im Geleitwort der Neuauflage 1993 dieser Ausgabe heißt es: Die Neuverlegung fällt in eine Zeit, in der erstmals in der modernen Medizingeschichte begonnen wird, Lehrstühle für Naturheilkunde an den Hochschulen einzurichten. Interessanterweise sagte Paracelsus der Schulmedizin voraus, dass sie dann beginnen würde, bei ihm in die Lehre zu gehen, wenn sie sich aufmachte, eine natur- und menschengerechtere Heilweise zu suchen.
Paracelsus ist heute schwer zu verstehen. Seine Werke umfassen das medizinische, philosophische, astrologische, esoterische, religiöse und alchemistische Wissen von der Antike bis nahe an unsere Zeit und muss aus der Ganzheitsschau für Kosmos und Mensch jener Zeit verstanden werden... Daher lehrt Paracelsus das Verständnis für Alchemie, Astrologie, Natur und Gott, ohne das der Mensch nur scheinbar und oberflächlich geheilt werden könne. So hat der alte und doch so junge Paracelsus auch dem heutigen Sucher einen großen geistigen Schatz anzubieten.
Lassen wir den „lutherus medicorum“ noch einmal in seiner typischen Ausdrucksweise zu uns sprechen:
„Aber über das ... ist das Geschrei noch größer entstanden unter den unverständigen, vermeinten und erdichten Arzten, die da sagen, daß meine Recept, so ich schreib, ein Gift ... sein aller Bösheit und Giftigkeit der Natur. Auf solch Fürgeben ... wäre meine erste Frag ... ob sie wüßten, was Gift oder nit Gift sei? Oder aber, ob im Gift kein mysterium der Natur sei? Dann im selbigen Punkt sind sie unverständig und unwissend in den natürlichen Kräften ... Wer ist, der da componiert hat das Recept der Natur? Hat es nicht Gott getan? Warumb wollt ich ihm sein compositum verachten, ob er gleich zusammensetzet, das mich nicht genug dünket? Es ist der, in des Hand alle Weisheit stehet, und weißt, wo er ein jegliches mysterium hinlegen soll. Warumb will ichs mich dann verwundern oder scheuen lassen? ... Ein jegliches Ding soll gebraucht werden, dahin es verordnet ist, und wir sollen weiter kein Scheuen an demselben tragen, dann Gott ist der recht Arzt und die Arznei selbst.
(Septem Defensiones, 1538)
NHV Theophrastus, 2001
Foto: Opus chyrurgicum von Paracelsus, gedruckt 1565 im Auftrag von Adam von Bodenstein © wikimedia commons, gemeinfrei