Wüste
Beduinen ziehen durch die steinige, staubige Landschaft. Die Sonne versengt alles, was sich ihren Strahlen aussetzt. Tiere haben sich im Schatten der Felsen verkrochen. Hitze, Dürre und Windstille weit und breit – und doch wächst und gedeiht in dieser lebensfeindlichen Welt eine Wüstenpflanze mit erstaunlichen Eigenschaften: die Koloquinte. Sie breitet ihre Blätter am Boden aus und öffnet sie der Sonne. Ihre apfelgroßen Früchte liegen wie Bälle im Sand. Aber ihr saftiges Fruchtfleisch schmeckt sehr bitter und herb. Es bietet nur Dromedaren, Eseln, Ziegen und Nagetieren eine Nahrungsergänzung bzw. eine letzte Möglichkeit, kleine Mengen an Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Dieser bittere Wüstenapfel ist neben der Dattelpalme, dem durstlöschenden Karkaden-Tee, einer Hibiskusart, dem syrischen Oregano und dem Wermut ein traditioneller Bestandteil der Apotheke der Beduinen.
Name
Im Volksmund heißt die Koloquinte Wilder Kürbis, Apfelquitte, Wilde oder Bittergurke oder Bitterapfel. Im Arabischen wird die Pflanze selbst oder mit Gummiarabikum vermischtes Fruchtpulver als Alhandal bezeichnet. Die wissenschaftliche Bezeichnung lautet Citrullus colocynthis. Sie ist der Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceen) zugeordnet. Für die Gattungsbezeichnung „Citrullus“ gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten. Einerseits kann der Name aufgrund der orangenähnlichen Früchte auf „Citrus“ zurückgehen oder das italienische Wort „citriolo“ für Kürbis wurde berücksichtigt. „Colocynthis“ könnte sich zusammensetzen aus „colon“ = Eingeweide und „kineein“ = bewegen, doch letztlich bleibt der Ursprung des Namens im Dunkel der Zeit.
Pflanzenbeschreibung
Die dicke, fleischige, in Wüstengebieten auch über einen Meter lange Pfahlwurzel der Koloquinte hat einen hohen Wassergehalt. Ein kurzer Stamm geht in niedergestreckte, ein bis zwei Meter lange, kriechende Triebe über. Diese Stängel sind kantig gefurcht und mit leicht brechenden Haaren besetzt. Der Trieb windet sich hin und her und verzweigt sich. Aus den Blattachseln wachsen schlanke Ranken, die unten behaart, oben aber kahl sind und sich ebenfalls schraubenförmig winden. Sie tragen die graugrünen, an der Unterseite mehr behaarten, hand- oder herzförmigen Blätter. Diese besitzen fünf gezähnte Endlappen.
Die Pflanze ist einhäusig, d. h. männliche und weibliche Blüten befinden sich auf einer Pflanze. Die fünfstrahligen, behaarten, gelben Blüten stehen einzeln in den Blattwinkeln. Sie weisen einen glockigen Kelch mit radförmiger Krone auf. Die Früchte sind kugelig, im ausgereiften Zustand gelb und teilweise mit einer grünen Maserung versehen. Die glatte harte Schale umschließt ein saftiges helles Fruchtfleisch, das von der Konsistenz her an Wassermelonen (Citrullus lanatus) erinnert, jedoch ist der Geschmack unangenehm bitter. An den Stellen der zerklüfteten Scheidewände ist die Frucht leicht in drei Teile spaltbar. Die reifen, braunen Samen wachsen scheinbar in sechs Fächern an beiden Seiten der Scheidewände. Werden die Früchte nicht gesammelt, trocknen sie ein und der Wind weht sie in die Wüste, sodass sich die Samen an einem neuen Ort wieder ansiedeln können. Die Samen scheinen besonders beständig zu sein. So können sie jahrzehntelang im Boden verbleiben, und wenn die äußeren Bedingungen zum Wachsen wieder günstig sind, keimen sie. Im zeitigen Frühjahr treiben sie aus und im Frühsommer erscheinen dann die ersten Blüten. Diese bilden die Früchte, welche zuerst grün sind und mit zunehmender Reife die gelbe Farbe annehmen. Ab Oktober erfolgt dann das Sammeln. Aufgrund großer Trockenheit kann es zu geringer oder verspäteter Blüte kommen oder die Früchte reifen nur ungenügend und zu zeitig aus. Sie mögen trockenen, sonnenbeschienenen Sand. Auch salzhaltige Böden sind kein Hindernis. Schatten vertragen diese Wüstenpflanzen nicht.
Verbreitung
Stammt diese mehrjährige Pflanze aus der Familie der Kürbisgewächse ursprünglich aus Nordafrika, so hat sie sich im Mittelmeergebiet über den Nahen Osten bis nach Asien und z. T. nach Australien verbreitet und eingebürgert. Sie ist sogar in Ostindien, am Kap der guten Hoffnung, auf Zypern oder den Kanarischen Inseln zu finden. Mit Geschick und grünem Daumen kann man sie auch in Deutschland ziehen. Doch fehlt es hier an Sonne, um dieses aus den Wüstenregionen stammende Kürbisgewächs voll ausreifen zu lassen.
Bionik
Kürbisgewächse gedeihen auf dem Komposthaufen, im Regenwald und in den Wüsten. Mit Flüssigkeitsmangel kommen aber nur wenig Kürbisarten zurecht. Die meisten brauchen viel Wasser und reichlich Nährstoffe, sind frostempfindlich oder lieben Rankgerüste. Denn die für Wüstenpflanzen untypisch großen und grünen Blätter der Koloquinte deuten auf ein bemerkenswertes Phänomen hin. Wüstenpflanzen haben verschiedene Möglichkeiten entwickelt, mit der Hitze umzugehen. Kakteen speichern in ihren Stämmen nach Regenfällen das Wasser und lassen, um die Verdunstung zu minimieren, die CO2-Aufnahme zur Photosynthese nur nachts im Kühlen stattfinden. Andere Pflanzenfamilien bilden ein weit verzweigtes, direkt unter der Bodenoberfläche liegendes Wurzelsystem, mit dem sie Niederschläge und sogar den nächtlichen Tau aufnehmen können. Die Koloquinte und die anderen an Wüstenverhältnisse angepassten Kürbisgewächse erreichen mit ihrer langen Pfahlwurzel tieferliegendes Wasser; durch die Kapillarkräfte steigt das Wasser nach oben und verdunstet an den Spaltöffnungen der Blätter. In einer mittäglichen Lufttemperatur von 45 °C und einer Bodentemperatur von knapp 70 °C kühlt die Koloquinte ihre Blätter auf Temperaturen um die 30 °C. So sichert sie ihr eigenes Überleben, bietet Lebensraum für kleine Lebewesen, bildet Wasserreserven und schafft sich einen eigenen Wärmehaushalt. Forscher der TU Berlin vom Fachgebiet „Bionik“ nutzen diesen Effekt, um einerseits in der Wüste mittels Transpirationspumpen Wasser ohne weitere Hilfsmittel zu erzeugen. Ungefähr ein halber Liter Wasser kann unter normalen Wüstentemperaturen pro Quadratmeter Koloquintenblatt und Stunde aufgefangen werden. Unter „Hitzestress“ kann die Ausbeute sogar auf zwei Liter steigen. Andererseits wird dieser Effekt in Kühlsystemen genutzt (adiabate Kühlung). Die Einfachheit und Effizienz der „Koloquintenkühlung“ wird jedoch mit technischen Systemen bei weitem nicht erreicht.
Geschichte
„Endlos weites Wüstenland. Nur Felsen, Schutt und Sand …“1
Die Koloquinte ist in der arabischen Welt bekannt für ihre Bitterkeit und ihre abführende Wirkung. Viele Sprichwörter und Vergleiche ranken um ihren bitteren Geschmack. „Die Koloquinte schmeckt dem Glücklichen süßer als die Feige dem Unglücklichen.“ Schon lange begleitet diese Wüstenpflanze die Menschen. War sie doch auch im alten Babylon ein Begriff. In der nordafrikanischen und südwestasiatischen Volksheilkunde hat sich die Verwendung von Koloquinten bis heute gehalten. Im alten Griechenland und Rom war die Koloquinte bekannt. Hippokrates, der Vater der abendländischen Medizin, verwendete diesen Wilden Kürbis fleißig, und Dioskurides, der römische Kräuterkundige, beschreibt ihre äußerliche Anwendung bei Ischias. Die Araber des Mittelalters brachten die Kunde von der Koloquinte nach Spanien und Zypern. Ibn Sina, uns besser bekannt als Avicenna, erwähnt mehrfach in seinem Buch „Richtschnur der Medizin“ im Abschnitt über Zahnheilkunde Koloquintenpulver. Innerlich zur Entgiftung bei Entzündungen und äußerlich zur Schmerzstillung angewandt, empfahl es der berühmte arabische Heilkundige. Wegen ihrer drastischen Wirkung bei falscher Einnahme war sie in Europa nicht wirklich ein fester Bestandteil im Volksbewusstsein, doch beschreiben die meisten Kräuterbücher der beginnenden Neuzeit ihre Wirkung. Paracelsus, der große Arzt und Philosoph der Renaissance, kannte ihre Verwendung zur Behandlung von Wassersucht, Würmern, Gelbsucht, Cholera und Verstopfung. Auch Justinus Kerner, der Arzt und Menschenfreund aus Weinsberg, hatte Koloquinten-Tinktur in seinem Rezeptierbuch stehen. Ein Mitarbeiter Hufelands soll die Koloquinte mit Baldrian und Chinarinde erfolgreich gegen Epilepsie verordnet haben. Und Samuel Hahnemann, der streitbare Begründer der Homöopathie, prüfte Colocynthis als eines seiner ersten Mittel dieser neu entstehenden Heilkunde. Bis ins 19. Jahrhundert wurde die abführende Wirkung der Koloquinte genutzt, um entweder den Darm zu reinigen oder um Erleichterung bei Wassersucht herbeizuführen. Je nach Land sind verschiedene Anwendungen in der Volksmedizin überliefert worden. Diese beziehen sich nicht nur auf Verstopfung, sondern umfassen Anwendungen bei Geschwüren, Entzündungen, Asthma, Bronchitis, Gelbsucht, Anämie, bei Wassersucht, Problemen mit dem Harnlassen, bei Rheumatismus und Diabetes. Dass diese überlieferten Indikationen nicht unter die Rubrik Indikationslyrik fallen, beweisen immer mehr aktuelle Studien, die an Universitäten arabischer Länder durchgeführt wurden. Wichtig ist es, darauf hinzuweisen, dass es beim Einsatz der Koloquinte genau auf die Dosierung und die Art der Anwendung ankommt, damit drastische Wirkungen auf Darm und Schleimhäute unterbleiben.
Im 2. Buch der Könige im Alten Testament wird berichtet, dass zur Zeit des Propheten Elisa eine Teuerung im Nordreich Israel herrschte. Die Schüler des Propheten hatten Hunger. So befahl Elisa seinem Diener, in der Wüste Koloquinten zu sammeln und sie in Scheiben geschnitten in einem Topf zu kochen. Als die Schüler das „Gemüse“ gekostet hatten, schrien sie, entsetzt über die Bitterkeit: „Der Tod ist im Topf!“ Doch Elisa tat Mehl in den Topf und sprach zum Diener: „Schütte es dem Volk vor, dass sie essen!“ Da war die Speise genießbar und nichts Böses mehr im Topf.
Bitterstoffe
Auffällig an der Koloquinte sind ihr Kühlungsvermögen bei Hitze, ihre Ranken mit den lappigen Blättern, ihre gelben Blüten und Früchte, die Zahl 5, die sich in 5 Blütenblättern und 5 Blätterlappen widerspiegelt und natürlich ihre Bitterkeit. Schon wenn man auf getrocknete Früchte tritt, kann man bitteren Staub auf den Lippen schmecken. Bitterkräuter haben eine lange Tradition in der Pflanzenheilkunde. Dabei sind die enthaltenen Bitterstoffe chemisch verschiedene Substanzen, die alle das Geschmacksmerkmal „bitter“ haben. Ihre Wirkungen auf den menschlichen Organismus, speziell auf den Verdauungstrakt, sind vielfältig:
- Stoffwechselaktivierung:
- Anregung des Speichelflusses
- Anregung der Magen- und Darmbewegungen
- Erhöhung der Ausschüttung des bitteren Gallensaftes (Leberstabilisierung) und der Enzyme der Bauchspeicheldrüse sowie der Fettverdauung
- Anregung des Immunsystems, da 80 % der Abwehrzellen im Darm gebildet und trainiert werden
- Basenbildend und damit einer Übersäuerung entgegenwirkend
- Stimmungsaufhellend und aufrichtend, da eine gute Verdauung und eine funktionierende Leber zur psychischen Entspannung beitragen
Paracelsus nutzte die leberstärkende Wirkung der Bitterstoffe. Er betonte:
„Die Arznei der Leber sei Enzian und Coloquint. Der ist kein Arzt, wer der Gallen Arznei in Honig, Zucker oder Engelsüß sucht. Gleich gehört zu seinem gleichen.“2
Inhaltsstoffe
Für den bitteren Geschmack der Koloquinte ist das Colocynthin zuständig. Dieses ist ein Rohglycosidgemisch, das zu gleichen Teilen die Hauptbestandteile Cucurbitacin E und I enthält. Weiterhin beinhaltet die Frucht Sterole, Alkaloide, Flavonoide und Fettsäuren. Wegen des hohen Gesamt-Cucurbitacin-gehaltes (bis 3 %) sind die Früchte nicht wirklich essbar. So wirkt der Genuss frischer Koloquintenfrüchte enorm reizend und abführend auf die Schleimhäute des Magen-Darm-Traktes bis hin zu blutigen Durchfällen. Im Deutschen Arzneibuch DAB 6 (von 1926 bis 1968 gültig, danach nicht mehr im DAB enthalten) wird die Herstellung alkoholischer Koloquintenfruchtauszüge beschrieben. Eine maximale Konzentration von 0,072 % Gesamt-Cucurbitacin ist laut Kommission E (deutsche Sachverständigenkommission für pflanzliche Arzneimittel) in therapeutischer Dosierung nebenwirkungsfrei.
Wirkung
Koloquintenextrakt wirkt nachweislich durch eine Flüssigkeitsabsonderung der Darmschleimhaut in das Darminnere, er erhöht die Beweglichkeit des Darmes, indem die Peristaltik angeregt wird. Er fördert ebenfalls die Magen- und Gallensaftausschüttung. Da nun die Darmschleimhaut das wichtigste Verteidigungssystem des Körpers gegen Gifte, Viren und Bakterien ist, hat eine initiierte Reinigung sowohl der Darmschleimhaut als auch des Darmes selber weitreichende Konsequenzen auf das Immunsystem und die Ausscheidung von Stoffwechselschlacken.
Der Darm ist jedoch kein einheitliches Organ, sondern gliedert sich in den Dünn- und den Dickdarm, welche beide einen anderen Aufbau und andere Funktionen aufweisen. So ist der Dünndarm – durch einen Kunstgriff der Natur mit einer Oberfläche von 300 bis 400 m² ausgestattet – für den Abbau von Eiweißen, Zucker, Stärke und Fetten zuständig. Dies geschieht in direktem Zusammenspiel mit den Sekreten von Galle und Bauchspeicheldrüse. Wertvolle Stoffe werden über die Dünndarmzellen ins Blut abgegeben und zu den Zellen transportiert, welche sie benötigen. Aufgenommene Gifte wie z. B. Nikotin, Nahrungszusatzstoffe, Pestizide werden sofern möglich in die Wasserlöslichkeit überführt, um über die Nieren ausgeschieden zu werden. Nicht verwertete Nahrungsbestandteile werden an den Dickdarm weitergereicht. Dort haben sich im Menschen seit seiner Geburt über 800 Bakterienarten angesiedelt, um ankommende Nahrungsbestandteile (wie z. B. Ballaststoffe) abzubauen, die Schleimhäute zu schützen, Immunzellen zu trainieren, fremde Bakterien zu entsorgen und Energie bereitzustellen. Diese Aufgaben sind jedoch von den Darmbewegungen, der Peristaltik, abhängig.
Kommt es wegen ungesunder Ernährung oder Lebensweise zur Eiweißfäulnis, steigt der Darm-pH-Wert über 6,5. Dies hat zur Folge, dass eine geringere Aufnahme von Vitaminen und Mineralien stattfindet, die Darmbewegungen langsamer werden und sich Toxine bilden und anhäufen. Darmträgheit und Verstopfung führen so zu einer Selbstvergiftung durch den Darm. In der Naturheilkunde ist es ein offenes Geheimnis, dass viele Zivilisationserkrankungen wie Diabetes II, Asthma, Allergien, Rheuma, Burnout oder Osteoporose mit Darmstörungen im Zusammenhang stehen und darüber beeinflussbar sind. Dabei hat die Anwendung von Koloquintenauszügen neben einer Änderung der Lebensweise vielen Patienten Erleichterung gebracht.
Der in den Leberzellen direkt produzierte Gallensaft wird in der Gallenblase gespeichert und von dort in den Dünndarm abgegeben. Seine Aufgaben sind die Verbesserung der Fettaufspaltung im Zwölffingerdarm (Gallensalze) und die Ausscheidung von Giften (z. B. Medikamente), des gelben Gallenfarbstoffes (Bilirubin) und von in der Leber gebildeten Antikörpern. Bilirubin entsteht beim Abbau roter Blutkörperchen in der Milz und färbt nicht nur den Stuhl braun, sondern stellt sogar einen wirksamen Schutz vor wasserlöslichen Peroxiden dar. Steigt der Bilirubingehalt im Blut an, weil er nicht oder nur eingeschränkt über die Gallenwege ausgeschüttet werden kann, ist es nötig, für schnellen und reichlichen Stuhlgang zu sorgen.
Die Gallensalze der Fettaufspaltung werden im Dickdarm rückresorbiert und der Leber über das Blut wieder zugeführt. Nach einer fettreichen Mahlzeit können die Salze schon 10- bis 12-mal zwischen Darm und Leber kreisen, bis die Nahrung zerlegt wurde. Die Leber synthetisiert 80 % des Gesamtcholesterins, welches sie je nach Bedarf und Stoffwechsellage an das Blut abgibt oder zur Gallensaftproduktion nutzt. Somit kann fließender Gallensaft einem zu hohen Cholesteringehalt im Blut vorbeugen.
Diese komplexen Zusammenhänge, die hier nur angedeutet werden können und bisher auch von der Wissenschaft noch nicht in allen Details erforscht wurden, stehen hinter der kurzen und knappen Aussage, dass verdünnte alkoholische Koloquintenauszüge die Darmbewegungen und die Ausschüttung des Gallensaftes anregen.
Reibt man sich mit einer Abkochung von Koloquinten ein, ist man gegen Mücken, Flöhe, Wanzen und Läuse geschützt. Dies hat nur den unangenehmen Nebeneffekt, dass die Finger, führt man sie versehentlich zum Mund, bitter schmecken. Diese Empfehlung geht wahrscheinlich auf Paracelsus zurück, welcher schreibt:
„Coloquint in eim Wasser gekocht, nimm Nieswurzwurzel mit Wermut gekocht und das Gewand daraus gewaschen, vertreibt Flöhe, Läuse, Wanzen usw.“3
Der Verdauungstrakt
- ist der Weg zur Mitte.
- ist eine lange Geschichte.
- ist der Wächter der Gesundheit.
- ist das Zusammenspiel von Aufnehmen, Verarbeiten und Abgeben.
- ist geprägt von Rhythmus und Verwandlung.
- ist ein offener Zugang zur Umwelt.
Die Leber
- ist das zentrale Stoffwechselorgan für den Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettstoffwechsel und dient damit der Energiegewinnung.
- wird durchflossen von einem Liter Blut pro Minute, davon 75 % nährstoffreiches und 25 % sauerstoffreiches Blut.
- entgiftet körpereigene und körperfremde Stoffe und macht sie für Nieren und Darm ausscheidungsfähig.
- produziert die Gallenflüssigkeit.
- ist mit mehr als 95 % an der Produktion der Bluteiweiße, aber auch an der Wiederverwertung des Eisens roter Blutkörperchen beteiligt.
- hält mit der Bauchspeicheldrüse zusammen den Blutzuckerspiegel konstant.
- reguliert den Wasserhaushalt und die Temperatur des Körpers.
Forschung
Schon 1975, 1988 und 1998 haben Toxizitäts- und Verträglichkeitsuntersuchungen gezeigt, dass Koloquintenextrakte mit einem Gesamt-Cucurbitacingehalt von 0,06 % in verschiedenen Dosierungen keinerlei Hinweise auf Schädigungen oder unerwünschte Beeinflussung der Schleimhäute des Verdauungstraktes ergeben.
Erfahrungsgemäß sind auch langfristige Einnahmen möglich. Gewöhnungseffekte traten nicht ein. Aktuelle Forschungen der letzten fünf Jahre beschäftigen sich inzwischen mit blutzuckersenkenden, antioxydativen, antientzündlichen sowie antimikrobiellen Wirkungen verschiedener Koloquintenzubereitungen. Es werden die Erfahrungen der Volksheilkunde arabischer Länder, wie Tunesien, Iran, Palästina oder Pakistan bzgl. Diabetes, schmerzlindernder und antientzündlicher oder sogar antikanzerogener Einflüsse diskutiert und mit ersten Studien und Untersuchungen bestätigt. Cucurbitacine der Koloquinte zeigen in vitro antimikrobielle Wirkungen, sowohl gegen grampositive und gramnegative Bakterien als auch gegen mehrere Candida-Pilze. Weiterhin scheint Koloquintenextrakt den Fettstoffwechsel zu beeinflussen, denn sowohl zu hohe Triglycerid- als auch Cholesterolwerte verringerten sich. Schon Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts beschäftigte sich eine Doktorarbeit an der Universität Marburg mit der Strukturaufklärung verschiedener Cucurbitacine der Koloquinte und deren zytostatischen Eigenschaften auf entartete Zellverbände.
„Die tumorhemmende Wirkung cucurbitacinhaltiger Pflanzen, die schon im Altertum bekannt war, wurde durch moderne Untersuchungen bestätigt und begründet das wiedererwachte Interesse an den Cucurbitacinen.“4
Auch 2007 konnte an der Bar-Ilan University (Israel) nachgewiesen werden, dass ein Extrakt aus Koloquintenblättern das Wachstum der Zelllinien von Mamakarzinomen verringert.
Koloquintenpräparate sollten auch in geringer Dosierung (außer Homöopathika) nicht angewendet werden:
- Bei Darmverschluss und Verschluss der Gallenwege
- In der Schwangerschaft und Stillzeit
- Von Kindern unter 7 Jahren
- Während der Menstruation bzw. von Frauen mit Blutungsneigung
Aufbereitung
Zur medizinischen Verwendung werden die Koloquintenfrüchte in den Randgebieten der Sahara in Marokko und Tunesien, in Ägypten, am Sinai und in der Wüste Negev, in Burkina Faso und Indien im halb- und vollreifen Zustand wild gesammelt. Ein Anbau erfolgt in Südspanien, Portugal und Zypern. Den höchsten Cucurbitacingehalt weltweit scheinen die marokkanischen Früchte zu haben, welche auch gleich vor Ort, wenige Kilometer vor der Sahara im Südosten Marokkos, getrocknet werden. Das trockene Klima sorgt dafür, dass die aufgeschnittenen Früchte nicht von Pilzen befallen werden. Zuvor werden die Früchte geschält, geschnitten und entkernt. Die Trennung von Samen und Früchten ist auch nach der Trocknung möglich. Die Samen oder Kerne machen im getrockneten Zustand noch 75 % des Gewichtes der Früchte aus. Der Cucurbitacingehalt der Samen kann stark schwanken, sodass die Kerne nicht aller Pflanzen bitter schmecken. Darüber hinaus enthalten die Samen bis zu 45 % fettes Öl, weshalb die nicht bitteren in kargen Zeiten gegessen wurden.
Homöopathie
Seit Samuel Hahnemann die Koloquinte als neues homöopathisches Arzneimittel mit 222 Symptomen geprüft hatte, ist Colocynthis ein fester Bestandteil der homöopathischen Verordnung. Gerade bei dieser Pflanze war es Hahnemann wichtig, sie nicht wegen ihres schlechten Leumundes zu verwerfen, sondern die Dosis so zu verringern, dass sie „bis zur unschädlichen und zweckmässigen Brauchbarkeit herabgestimmt“ ist.
„Es ist einleuchtend, dass wenn ein Pfund Weingeist, auf einmal getrunken, einen Menschen tödten kann, diess nicht an der absoluten Giftigkeit des Weingeistes, sondern an der allzu grossen Gabe liege, und dass ein Paar Tropfen Weingeist dem Menschen unschädlich gewesen seyn würden.“5
Hahnemann hatte das paracelsische Prinzip, dass allein die Dosis ausmacht, ob ein Stoff Gift ist oder nicht, zum System der Potenzierung weiterentwickelt und vervollkommnet. Unter Potenzierung wird ein schrittweises Verdünnen und Verschütteln der Arznei verstanden, welches die Wirkung verändert. Auch von der Kommission E wird Colocynthis D6 – das bedeutet eine Verdünnung von 1 : 1 000 000 – als toxikologisch unbedenklich eingestuft und als Homöopathikum bei kolikartigen Schmerzen mit Übelkeit und Brechreiz bei Kleinkindern empfohlen. In der Homöopathie soll nicht ein einzelnes Symptom, sondern der ganze Mensch behandelt werden. Da der Mensch aus Geist, Seele und Körper besteht, so werden auch die Krankheiten geistige, seelische und körperliche Symptome aufweisen. Dies zeigt sich ebenfalls bei der Beschreibung der wichtigsten Eigenschaften des homöopathischen Arzneimittels Colocynthis. Dieses hat zwei große Wirkkreise: kolikartige Krämpfe und Nervenschmerzen. Es gehört damit in die erste Reihe der homöopathischen Schmerzmittel. Die Krämpfe äußern sich z. B. als Gallenkoliken, Verdauungsbeschwerden mit Blähungen und auch Durchfällen, Blasenkrämpfe, Regelschmerzen oder epileptische Anfälle. Plötzlich auftretende Trigeminusneuralgien oder Migräne mit kneifenden oder beißenden Schmerzen oder heftige reißende Ischiasschmerzen oder Muskelkrämpfe, die mit Unruhe und Gereiztheit einhergehen, verlangen nach Colocynthis, z. B. alle zwei Stunden 5 Globuli der D6. Die Schmerzen können ausgelöst werden durch schwelenden Ärger und Zorn, durch Kränkung und zurückgehaltene Wut oder Schreck. Wenn die Wut dann durchbricht, „fliegen schon einmal die Teller“. Aber auch Nässe und Zuviel-Essen können eine Rolle spielen. Alle Symptome werden gebessert durch Hitze, Druck auf die schmerzenden Stellen, Zusammenkrümmen und Kaffee.
Die beiden Lausejungen Max und Moritz wollen den eigentlich beliebten Schneidermeister Böck ärgern und sägen die kleine Brücke an, die über einen Bach vor Böcks Haustür führt. Dann locken sie den Schneider auf die Brücke, indem sie rufen: „He, heraus, du Ziegenböck! Schneider, Schneider, meck meck meck!“6 Und voll Zorn springt der Schneidermeister aus dem Haus und fällt in den Bach, geht unter und rettet sich in Todesangst ans Ufer.
Zu Hause befallen ihn krampfartige Bauchschmerzen, hervorgerufen durch den Ärger, Zorn und das kalte Wasser. „Hoch ist hier Frau Böck zu preisen, denn ein heißes Bügeleisen, auf den kalten Leib gebracht, hat es wieder gut gemacht.“7 Also Bauchkrämpfe, welche durch Ärger, Zorn und nasse Kälte hervorgerufen wurden, und durch Wärme und festen Druck gelindert werden, bessern sich mit der Einnahme von Colocynthis D6.
Kombinationen
Colocynthis wird gern in homöopathischen Komplexmitteln mit anderen Arzneien kombiniert. So z. B.
- zur Anwendung bei Oberbauchkrämpfen mit Kamille
- bei Magen-Darm-Störungen mit Rosskastanie, Tonerde, Silbernitrat und Brechnuss
- bei Nervenschmerzen mit weißem Arsenik, Hahnenfuß und Giftsumach oder
- bei rheumatischen Beschwerden mit der Zaunrübe, Giftsumach, Mädesüß und Kermesbeere
Doch auch als Fruchtauszug hat sich eine Kombination mit Salbei zur Steigerung des Immunsystems als vorteilhaft erwiesen. Diese Kombination eignet sich besonders für Darminfektionen mit Durchfall.
Ausklang
„Endlos scheint das Wüstenmeer. So weit, so heiß, so leer …“8
Wir sind nun am Ende unserer Reise durch die Welt der Koloquinte, durch die Wüste und durch Bitterkeit und Schmerzen angelangt. Den Irrtum von der Giftigkeit dieses Wüstenkürbisses konnten wir überwinden. Koloquinten sind nicht schädlicher als andere starke Abführmittel auch, aber dafür liegen in ihnen Schätze verborgen, die im arabischen Kulturkreis teils geahnt, teils schon erforscht werden. Die Koloquinte ist mehr wert, als dass Touristen mit ihr am Abend einer Wüstensafari Boccia spielen. Sie spiegelt uns durch ihre Bitterkeit unsere eigene Unzufriedenheit und Gehetztheit, vielleicht auch unsere Wut und unseren Zorn wider. Sie kann uns helfen, die Krusten von Darm und Seele zu entfernen. Nach der Entschlackung folgen die Befreiung und die Kraft zum Neubeginn. Die Koloquinte spendet Wasser da, wo keiner es vermutet und macht dadurch die Mittagshitze der Wüsten erträglich, sie verwandelt also Hitze und Trockenheit zu unserem Vorteil. Im scheinbar Schädlichen liegt die Möglichkeit zur Gesundung verborgen.
So bleiben uns das Staunen vor der Vielfalt und dem Reichtum der Schöpfung und die Dankbarkeit, dass der Mensch dies alles in Verantwortung nutzen darf. Welche wunderbaren Möglichkeiten bietet uns diese Erde und welche Freude ist das!
2011
Nähere Informationen zu Veröffentlichungen der erwähnten Studien sind bei der Autorin erhältlich.
Verwendete Quellen:
- Friedrich, Thomas (Bioprospektor in Marokko): persönliche Mitteilungen, Fa. Friedrich Nature Discovery
- Hahnemann, Samuel: Reine Arzneimittellehre, Sechster Theil, Dresden, Leipzig, 1827, S. 172–194
- Hirsch, Miriam: Die Apotheke der Beduinen, aus Natur und Heilen 12/2009, S. 34–41
- Maskos, Hans Jürgen: Isolierung und Strukturaufklärung neuer pharmakologisch aktiver Cucurbitacine, Pharmazeutische Dissertation, Marburg/Lahn, 1988
- Rashid, Jinan: Die Zahnheilkunde des Ibn Sina (Avicenna), Stomatologische Dissertation, Hamburg, 2007
- Rechenberg, Ingo: Bionik – Transpirationspumpen, www. bionik.tu-berlin.de
- Rohen, Johannes W.: Morphologie des menschlichen Organismus, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 2000
- Schaenzler, Nicole: Vital und gesund durch Bitterstoffe, Südwest Verlag, München, 2005
- Schilcher, Heinz; Kammerer, Susanne; Wegener, Tankred: Leitfaden Phytotherapie, Urban & Fischer Verlag, München, 2010
- Seideneder, Armin: Mitteldetails der homöopathischen Arzneimittel Band 1, Similimum-Verlag, Ruppichteroth, 1997
- Sonnenschmidt, Rosina: Leber und Galle – erworbene Autorität, Narayana Verlag GmbH, Kandern, 2009
- Sonnenschmidt, Rosina: Verdauungsorgane – der Weg zur Mitte, Narayana Verlag GmbH, Kandern, 2009
- Vonarburg, Bruno: Homöotanik Band 4, Karl F. Haug Verlag, Stuttgart, 2005
- Werk, Roland: Der Darm – Wächter der Gesundheit, ehlers verlag GmbH, Wolfratshausen, 2008
Zitat im Teaser des Artikels:
- Kunze, Michael und Falk, Dieter: Die 10 Gebote – Ein Pop-Oratorium, Textheft, S. 11, Edition Butterfly, Roswitha Kunze, Hamburg & BMG Rights Management Edition Falkmusic, Berlin, 2009
-
Kunze, Michael und Falk, Dieter: Die 10 Gebote – Ein Pop-Oratorium, Textheft, S. 27, Edition Butterfly, Roswitha Kunze, Hamburg & BMG Rights Management Edition Falkmusic, Berlin, 2009↩
-
Paracelsus: Sämtliche Werke 9. Band, Otto Wilhelm Barth Verlag GmbH, München-Planegg, 1925, S. 63↩
-
Paracelsus: Sämtliche Werke 3. Band, Verlag von R. Oldenburg, München und Berlin, 1930, S. 389↩
-
Maskos, Hans Jürgen: Isolierung und Strukturaufklärung neuer pharmakologisch aktiver Cucurbitacine, Pharmazeutische Dissertation, Marburg/Lahn, 1988, S. 1↩
-
Hahnemann, Samuel: Reine Arzneimittellehre, Sechs ter Theil, Koloquinte, Dresden, Leipzig, 1827, S. 173↩
-
Gawlik, Willibald; Buchmann, Werner: Homöopathie in der Weltliteratur, Barthel & Barthel Verlag GmbH, Schäftlarn, 1994, S. 106↩
-
Gawlik, Willibald; Buchmann, Werner: Homöopathie in der Weltliteratur, Barthel & Barthel Verlag GmbH, Schäftlarn, 1994, S. 107↩
-
Kunze, Michael und Falk, Dieter: Die 10 Gebote – Ein Pop-Oratorium, Textheft, S. 11, Edition Butterfly, Roswitha Kunze, Hamburg & BMG Rights Management Edition Falkmusic, Berlin, 2009↩