Herr Dr. Häringer, der Meerrettich wurde vom NHV Theophrastus zur Heilpflanze des Jahres 2021 gekürt. Sie forschen bereits seit vielen Jahren zu der Pflanze. Warum ist der Meerrettich eine gute Heilpflanze?
„Der Meerrettich hat eine ganze Reihe von positiven Eigenschaften. Er wirkt sowohl gegen Viren als auch gegen Bakterien, Pilze und Protozoen. Dabei gibt es, im Gegensatz zu chemischen Arzneimitteln wie Antibiotika, bis jetzt keine Resistenzen bei Viren und Bakterien.
Meerrettich kann beispielsweise eingesetzt werden gegen Erkältungen, Lungenerkrankungen, Blasen- und Harnwegserkrankungen, Arthritis, Gelenkbeschwerden und Gichterkrankungen. Er ist ein sehr, sehr gutes Mittel, das in seiner Wirksamkeit auch wissenschaftlich in klinischen Studien belegt ist. Man sollte den Begriff zwar eigentlich nicht verwenden, aber er ist sehr eingängig: Meerrettich ist das Penicillin aus dem Garten.“
Worauf beruht die Wirkung des Meerrettichs?
„Das ist unterschiedlich. Zum einen hat Meerrettich relativ viel Vitamin C. Und Vitamin C ist ein wichtiger Mikronährstoff. Dieser dient zur Vorbeugung und durch seine antioxidative Wirkung bei verschiedenen Infektionen zur Steigerung der Abwehr. Noch spannender sind aber die wirksamkeitsbestimmenden Isothiocyanate (ITC) – die Senföle.“
Senföle? Sind das die sehr scharfen Stoffe, die wir beim Meerrettich deutlich schmecken?
„Ja genau. Die Senföle sind sehr aktive ätherische Öle. Ursprünglich dienen sie der Pflanze als Abwehrmechanismus gegen Fressfeinde – wie dies sehr häufig bei ätherischen Ölen der Fall ist. Die Pflanzen können ja nicht weglaufen, also haben sie im Laufe der Evolution gelernt, sich gegen Fressfeinde wie Raupen aber auch gegen Viren und Bakterien zu schützen. Und hier kommen beim Meerrettich eben die ITCs ins Spiel.“
Wie funktioniert das genau?
„In der Pflanze sind die ITCs zunächst in Zucker gebunden. Durch den Zucker sind sie inaktiv. Wenn nun das Gewebe angegriffen wird, beispielsweise durch eine Raupe, oder auch durch Reiben, dann geht das Gewebe kaputt. Durch einen chemischen Prozess mit dem Enzym Myrosinase wird nun das Senföl aus dem Zucker abgespalten – die Senföle wirken und sind für Bakterien, Viren und auch Pilze tödlich – für uns Menschen dagegen nicht. Die einzelnen Prozesse sind recht interessant.“
Erzählen Sie!
„Im Fall der Bakterien wirken die ITCs zum einen auf die Zellmembran der Bakterien. Sie blockieren Transportsysteme (Carrier) in der Bakterienwand, Ionenkanäle etc. und behindern u. a. auch die Kommunikation zwischen den Bakterien. Dadurch können diese keine sogenannten Bakterienfilme bilden und werden leichter von der körpereigenen Abwehr beseitigt.“
Wie funktioniert das genau?
„Nun, der Körper hat in den Millionen Jahren Evolution einen Mechanismus gegen Bakterien und Viren entwickelt: Die humanen Beta Defensine. Das sind kleine Eiweiß-Bausteine – sogenannte winzige Peptide – die sich an der Zelloberfläche der Bakterien anlagern und dort dann Poren bilden, die Bakterienmembran ist nicht mehr funktionsfähig. In der Folge „läuft das Bakterium aus“.
Was ist mit den körpereigenen Zellen? Besteht dort auch dieses Risiko?
„Nein, glücklicherweise nicht. [lacht] Unsere körpereigenen Zellen enthalten sehr viel Cholesterin als Baustein. Wenn Cholesterin da ist, findet der Prozess nicht statt. Mit diesem Mechanismus schützen sich Säugetiere – also auch der menschliche Körper – gegen Bakterien. Gegen den Prozess gibt es keine Resistenzen bei Bakterien.“
Im Gegensatz zu chemischen Medikamenten wie Antibiotika?
„Ganz genau. Der Unterschied ist: Die Wirkweise mit den humanen Beta Defensinen ist kein chemischer Prozess. Chemische Substanzen zielen dagegen auf einen Prozess ab, beispielsweise soll der Zellstoffwechsel des Bakteriums gestört werden oder einzelne Moleküle werden beeinflusst. Auf diese Substanzen können sich Bakterien aber einstellen.“
Wie kann das aussehen?
„Ein Beispiel ist das sogenannte „Quorum Sensing“, bei dem Bakterien sich bei Angriffen gemeinsam schützen indem sie sich quasi mit einem Wall aus Zucker und Eiweiß umgeben und darin – wenn man so will – warten bis die Gefahr vorbei ist. ITCs gehen durch diesen Wall aber durch, auch durch Fettschichten.“
Ein weiterer Vorteil von Meerrettichpräparaten ist, dass es kaum Nebenwirkungen gibt, im Gegensatz zu Antibiotika.
„Das liegt daran, dass die Senföle im Dünndarm zu über 90 Prozent resorbiert werden. Die antibiotische Wirksamkeit gegen Bakterien, Pilze und Viren erfolgt dann nach der Verstoffwechselung in der Leber. Sie werden über die Lunge und Niere ausgeschieden und entfalten dort ihre Wirksamkeit. Im Gegensatz zum Antibiotikum, das ja beispielsweise auch im Dickdarm noch die wichtigen Darm-Bakterien zerstört. Das hat sehr, sehr große Nachteile, besteht aber bei den Meerrettichpräparaten nicht.“
Sie hatten erwähnt, dass auch eine antivirale Wirkung der ITCs besteht. Wie sieht die aus?
„Zunächst muss man sagen, dass wir in der sogenannten klassischen Medizin ganz wenige antivirale Medikamente haben, die im Körper wirken. Die ITCs haben diese sogenannte virostatische Wirkung. Sie verhindern das Andocken des Virus und die Aufnahme des Virus über den Endozytose-Prozess, aber auch die Teilung der Viren, sodass die Krankheit nicht ausbricht.
Dazu kommt: Die ITCs modulieren das Immunsystem. Das heißt: Ist das Immunsystem übertrieben stark, wird es leicht gedämpft, ist es schwach, wird es angeregt – und damit in einer optimalen synergistischen Lage eingestellt.“
Gegen welche Krankheiten kann der Meerrettich eingesetzt werden?
„Die Indikation beschränkt sich zunächst mal aufs Immunsystem, auf Viren, Bakterien, Pilze. Hauptsächlich nachgewiesen sind Erfolge bei Nase, Mund, Lunge, Blase. Das ist durch wissenschaftliche, klinische Studien belegt. Die ITCs stimulieren die körpereigene Abwehrkraft, haben eine starke antioxidative Wirkung, weil sie in den Stoffwechsel eingreifen und verhindern, dass Fette, aus denen ja unsere Membranen bestehen, durchoxidiert werden. Daneben hat sich gezeigt, dass sie auch eine Wirkung auf Krebszellen haben. Das ist sicherlich kein Therapeutikum, aber es kann bei der Behandlung von Krebs als eine adjuvante, also begleitende, Methode eingesetzt werden.“
Welche Wirkungen hat Meerrettich bei Harnwegserkrankungen?
„Bei kranken Patienten und besonders Frauen mit rezidivierenden, also wiederkehrenden, Harnwegsinfektionen kann der Meerrettich sehr gut eingesetzt werden. Studien zeigen, dass hier die Reinfektionsrate um 48 Prozent sinkt. Für Harnwegsinfektionen steht in einer relativ neuen S3-Leitlinie für Urologen (S3-Leitlinien haben die höchste Qualität in der Entwicklungsmethode, Anm. d. Autoren), dass man bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen in erster Linie tatsächlich sogar Phytotherapeutika mit Senfölen, wie Kapuzinerkresse und Meerrettich in Kombination, nehmen sollte. Denn die Wirksamkeit konnte in klinischen Studien nachgewiesen werden. Allerdings gilt das nur für das rechtlich als Medikament zugelassene, seit 60 Jahren bewährte Angocin antiinfekt.“
Welcher Einsatz des Meerrettichs ist sinnvoll?
„Es ist sinnvoll, wenn ich einen Patienten mit einem Infekt habe und nicht genau weiß, was er hat. Dann mache ich einen Abstrich, dass dauert zwischen einigen Stunden und zwei, drei Tagen, bis die Ergebnisse da sind. Bis dahin könnte ich ihm aber bereits etwas geben: Beispielsweise ein Kombinationspräparat aus Meerrettich und Kapuzinerkresse. Das ist in diesem Bereich extrem wirksam. Ich wende diese Kombination ziemlich kontrolliert und gut seit 45 Jahren an – sowohl gegen Viren als auch gegen Bakterien.“
Worauf kommt es bei der Einnahme an?
„Mir ist es wichtig, hier zwei Punkte zu unterscheiden. Das eine ist der Einsatz in der Küche etc. Meerrettich hat hier Effekte. Man kann von dem vielen Vitamin C profitieren, und ITCs werden auch aufgenommen. Aber für den therapeutischen Einsatz reicht das nicht. Da müsste man so viel essen, dass Magenschmerzen entstehen. Hierfür müssen aus dem Meerrettich hergestellte Phytotherapeutika eingenommen werden. Auf diese Medikamente beziehen sich auch die in wissenschaftlichen Studien nachgewiesenen Wirkungen.“
Warum genau ist das wichtig?
„Das hängt mit der Wirkweise der ITCs und ihrer Verarbeitung durch den Körper zusammen. Die ITCs müssen in den Körper, um dort zu wirken. Denn bei der Ausscheidung werden sie entweder abgeatmet oder über Speichel oder Nieren ausgeschieden. Und da entsteht dann die Wirkung. Bei anderen Infektionen im Körper nutzt es daher leider nichts. Es muss also eingenommen werden und wirkt dann sehr gut auf diesen drei Ebenen: Mund-Rachen-Bereich, Lunge und Blase. Das ist die Hauptindikation, die auch vom Bundesausschuss E bestätigt ist.
Zu diesen Indikationen gibt es Studien, die die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit bestätigen. Da konnte man beispielsweise nachweisen, dass diese antibakterielle Wirkung dann gerade bei Kindern und bei multiplen Kranken und bei Schwerkranken sehr gut nachweisbar ist, dass plötzlich dann Infektionen weitgehend zurückgehen. Wir haben also eine belegte Wirkung gegen Bronchitis, Laryngitis (Kehlkopfentzündung, Anm. d. Autoren), Pharyngitis (Rachenentzündung) und Blasenentzündung.“
Ist ein Einsatz gegen Covid 19 möglich?
„Dazu gibt es bisher keine Studien. Aber man könnte Medikamente mit Meerrettich zur Prophylaxe einnehmen, weil sie eine antivirale Wirkung haben. Die beschriebenen Prozesse wirken allesamt und sehr wahrscheinlich auch auf Covid 19-Viren. Wir wissen, dass bei den vorhergehenden Corona-Viren gute Erfolge erzielt wurden. Aber wissenschaftliche Studien zum aktuellen Virus bestehen nicht – sicherlich auch, weil aktuell noch keine Kapazitäten für eine solche Untersuchung vorhanden waren.“
Wie können wir bei der Ernährung von den positiven Inhaltsstoffen profitieren?
„In der Küche ist Meerrettich ja sehr vielseitig. Man kann ihn in verschiedenen Soßen oder Cremes mit Fisch und allen möglichen Sachen essen und wir haben dabei vermutlich gewisse präventive Wirkungen. Aber für den gezielten, therapeutischen Einsatz eignet sich diese Art nicht. Wenn er zur Therapie eingesetzt werden soll, dann ist es ganz wichtig, dass Medikamente eingesetzt werden. Und solche sollten nicht ohne Rücksprache mit einem Arzt zum Einsatz kommen.“
Interview: Dr. Fabian Kautz & Maria Vogel, 2021