Beeindruckende Wirkungen – gestern und heute
Wie viele Heil- und Gewürzpflanzen hat auch Ingwer vor allem in seiner Heimat Asien eine lange Tradition. Der chinesische Kaiser Shen nung soll schon Jahrtausende vor Christus den Ingwer in seinem Werk über Arzneipflanzen „Shen nung pen ts‘ ao king“ als kräftigend erwähnt haben. Vom chinesischen Philosophen Konfuzius (551–479 v. Chr.) ist überliefert, dass er seine Mahlzeiten nie ohne Ingwer zu sich nahm.
Der griechische Arzt Dioskurides schrieb im 1. Jahrhundert nach Christus den Ingwerknollen „erwärmende, die Verdauung befördernde Kraft“ zu. „Sie regen den Bauch milde an und sind gut für den Magen.“
Später verordnete Hildegard von Bingen (1098–1179) zur Unterstützung der Behandlung von Podagra einen Abführtrank, der neben Ingwer auch Bertram und Pfeffer enthielt.
Paracelsus (1493–1541) führte den Ingwer in Rezepten zur innerlichen Anwendung an, z. B. bei Fieber und als Allheilmittel, wie auch äußerlich als Pflaster bei Brüchen und stumpfen Verletzungen.
Adam Lonitzer (1528–1586) empfahl den Ingwer ebenfalls für eine bessere Verdauung:
„Wein/darinnen Imber und Kümmel gesotten/ist gut wider Wehetun des Magens und Gedärms/so von Winden kommen/und macht wohl dauen.“
Heute gibt es zahlreiche Studien, welche die vielseitige Wirksamkeit von Ingwer wissenschaftlich bestätigen. So lindert er Brechreiz und Erbrechen und wirkt ebenso effektiv bei Reisekrankheit wie synthetische Medikamente. Weiterhin regt Ingwer die Darmperistaltik an, fördert die Speichel-, Magensaft- und Gallensekretion und verhindert Völlegefühl nach üppigem Essen. Klinische Studien haben gezeigt, dass Ingwer Schmerz reduziert und daher bei rheumatischen Erkrankungen dienlich ist. Ferner wurden krampflösende und tumorhemmende Eigenschaften beobachtet.
Die Erfahrungsmedizin nutzt ihn außerdem bei Erkältungen und Husten, bei Menstruationsbeschwerden, bei Rückenschmerzen und Migräne.
Das ätherische Öl ist nicht scharf und wirkt auf körperlicher Ebene hautfreundlich, vitalisierend sowie virushemmend auf Herpes-Viren, auf seelischer Ebene stabilisierend und stimmungsaufhellend.
Erfahrungsmedizin anderer Länder
Ingwer ist eine der wichtigsten Pflanzen in der traditionellen indischen Medizin (Ayurveda). Sie unterscheidet zwischen den Wirkungen des frischen Ingwers (z. B. bei Brechreiz) und des getrockneten Ingwers (z. B. bei Atemwegserkrankungen). In einer alten indischen Redensart heißt es, dass es keine Tinktur ohne Ingwer gibt. Er soll die Heilfähigkeit anderer Pflanzen verstärken.
In Malaysia bekämpft man Übelkeit, Schwindel und Kopfweh, indem Stirn und Nacken mit einer frisch geschnittenen Scheibe Ingwer eingerieben werden.
In Indonesien wird Ingwer und gekochter Reis zerquetscht und als Auflage zur Linderung von Gelenkschmerzen verwendet.
In China ist der Wurzelstock volksmedizinisch bekannt u. a. als Mittel gegen Wassersucht, bei Zahnschmerzen und als Gegenmittel bei Pilzvergiftungen. Gegen Durchfall und zur Blutstillung kennt die chinesische Medizin den in heißer Asche gerösteten Ingwer-Wurzelstock. Außerdem gelten die Blätter als verdauungsfördernd, die Stängel als Wurmmittel.
Ein Mittel gegen Rheumatismus ist für die Nomaden des Atlasgebirges in Marokko pulverisierter Ingwer in Milch gekocht. Diese Mischung wird am Abend vor dem Schlafengehen eingenommen.
Nützlich für Tiere
Auch zur Behandlung von Tieren wird Ingwer verwendet. Mit Ingwertee oder geschnittenem Ingwer kann z. B. bei Geflügel ein Befall des Darmes mit Parasiten verhindert werden.
Außerdem ist er ein hervorragendes Schmerzmittel für Pferde, die unter Arthrose leiden. Dabei benötigen sie eine bedeutend geringere Dosis Ingwer pro Kilogramm Körpergewicht als Menschen, vermutlich deshalb, weil die entzündungshemmenden Inhaltsstoffe langsamer in deren Magen zersetzt werden.
Von einer anderen Art der Verwendung berichtet eine Anekdote, nach der früher geschäftstüchtige Pferdehändler in Amerika ihren geschwächten alten Pferden Ingwer als Zäpfchen eingeführt haben sollen. Das soll sie dazu gebracht haben, ihren Schweif aufzurichten, ein Zeichen jugendlichen Feuers.
Wertvolle Inhaltsstoffe
Der Ingwer-Wurzelstock enthält bis zu 3 % ätherisches Öl, welches je nach Herkunft sehr unterschiedlich zusammengesetzt sein kann. Es findet sich in den unter der Korkschicht liegenden Sekretzellen. Deshalb sollte Ingwer nicht geschält, sondern der Kork höchstens vorsichtig mit einem Löffel abgeschabt werden.
Außerdem beinhaltet die Knolle die Scharfstoffe Gingerol und Shogaol. Letzteres entsteht erst durch Lagerung und Trocknung des Wurzelstockes. Beide Scharfstoffe haben therapeutisch wertvolle Wirkungen. Der Inhaltsstoff Zingeron bildet sich durch weiteren Abbau der Scharfstoffe. Er schmeckt nicht mehr scharf und deutet auf minderwertige Ware durch Überlagerung hin.
Um die wirksamen Inhaltsstoffe herauszulösen, wird zum einen durch Wasserdampf-Destillation das ätherische Öl gewonnen, wobei die wasserunlöslichen Scharfstoffe nicht mit in das Öl gelangen. Zum anderen entsteht durch alkoholische Extraktion das Ingwer-Oleoresin, ein harziges Gemisch, was ätherisches Öl und Scharfstoffe vereint. Es wird zur Aromatisierung von Lebensmitteln, in Kosmetik und Parfümerie verwendet.
Ingwer-Arznei – selbst hergestellt
Im Handel sind Fertigpräparate mit Ingwer in Form von Kapseln, ätherischem Öl, in flüssigen Kombinationspräparaten oder als kandierter Ingwer erhältlich. Wer selbst aktiv sein will, kann sich Ingwer-Medizin selbst herstellen:
Bei Appetitlosigkeit, Blähungen, Völlegefühl, Übelkeit und Reisekrankheit helfen z. B. Ingwer-Tee oder -Tinktur.
Tee
Einen Teelöffel gepulverte Droge oder frischen geriebenen Ingwer mit 200 ml heißem Wasser überbrühen. 5 bis 10 Minuten ziehen lassen, dabei das Gefäß abdecken, damit das ätherische Öl möglichst nicht entweicht. ½ Stunde vor dem Essen bzw. vor Reiseantritt trinken.
Tinktur
50 g Ingwer in dünne Scheiben schneiden, mit 200 ml 50%igem Alkohol auffüllen, 10 bis 20 Tage unter täglichem Umschütteln extrahieren, abseihen, in dunkle Flaschen füllen und gut verschließen. 20 bis 30 Tropfen Ingwer-Tinktur in einem Glas lauwarmen Wasser ½ Stunde vor dem Essen bzw. vor Reiseantritt einnehmen.
Auflage
Bei rheumatischen Erkrankungen, Prellungen und Muskelverspannungen wirkt eine Ingwer-Auflage lindernd. Dazu werden 3 Esslöffel geriebener Ingwer mit ½ Liter kochendem Wasser übergossen. Nach 5 Minuten Ziehen im geschlossenen Topf ein Baumwolltuch in dem Aufguss tränken, auswringen und auflegen, darüber ein wärmendes Tuch decken und etwa 40 Minuten auf dem Körper belassen. Danach auf die behandelte Stelle ein pflegendes Hautöl auftragen.
Bei Krämpfen und Muskel- oder Gelenkschmerzen kann ein Ingwer-Bad oder eine Ingwer-Einreibung Linderung verschaffen:
Bad
Etwa 50 g Ingwer reiben, mit einem Liter kochendem Wasser aufbrühen, zugedeckt ¼ Stunde ziehen lassen und dann dem Badewasser zusetzen.
Einreibung
Frischen, geriebenen Ingwer mit Hilfe einer Knoblauchpresse auspressen und dem Saft die 4-fache Menge Jojoba- oder Sesamöl zufügen. Dieses Gemisch ist vor Gebrauch kräftig zu schütteln, damit sich wässriger Saft und fettiges Öl mischen. Die Einreibung ist innerhalb weniger Tage zu verbrauchen.
Gewürz mit Heilwirkung
Für den Gebrauch als Gewürz lohnt es sich, Ingwer aus unterschiedlicher Herkunft zu testen, denn die Sorten verfügen über unterschiedlichen Geschmack. Dabei soll der Ingwer aus Nigeria am schärfsten sein, der aus Australien am mildesten. Die den Forderungen des Arzneibuches am besten entsprechende Sorte ist der Jamaika-Ingwer, aber auch Australischer und Bengalischer Ingwer.
Als Gewürz kann er sowohl herzhaften Gerichten wie Suppen, Fleisch- und Fischgerichten, als auch süßen Speisen wie z. B. Gebäck und Kuchen hinzugefügt werden. Im Mittelalter war Ingwer so beliebt, dass die Gasse der Gewürzkrämer in Basel „Imbergasse“ benannt wurde. Von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) ist überliefert, dass er zu Teegesellschaften und Musikabenden neben feinsten Speisen wie Gänseleber, Kaviar und Lachs auch Ingwer servieren ließ. Aufgrund seiner früheren Kolonien in Ostasien findet sich in England der Ingwer (engl. Ginger) in vielen traditionellen Speisen und Getränken, z. B. im Gingerbread (Lebkuchen), in Marmelade, in der Worcestersauce oder im Ginger Beer.
Die Schärfe des Ingwers hat für Fernsehkoch Alfons Schuhbeck „durchaus etwas Freches und Herausforderndes“, was aber nicht ausschließt, dass er trotzdem gut kombinierbar mit anderen Gewürzen ist. „Knoblauch und Ingwer sind das Traumpaar schlechthin in meiner Küche.“, schreibt er in einem seiner Kochbücher. Das erhöht laut Schuhbeck die wertvolle antioxidative Wirkung um 50 %.
Andere Länder – andere Gerichte
Durch Einlegen in Salzlake, Reiswein oder Reisessig werden in China und Japan Ingwerscheiben haltbar gemacht.
Frisch geriebener Ingwer nebst Zwiebel und Knoblauch ergeben eine Paste, welche – kurz angebraten – als Grundlage für Soßen in Nordindien verwendet wird. Ein Snack, der in Indien an fast jeder Straßenecke zu finden ist, sind die „Samosas“, gefüllte Teigtaschen, die u. a. kräftig mit Ingwer gewürzt werden.
In Marokko verfeinert Ingwer beispielsweise das Schmorgericht „Tajine“, welches in einem gleichnamigen aus Lehm gebrannten Gefäß mit Deckel zubereitet wird. Es besteht meist aus Hammelfleisch und gemischtem Gemüse.
Die Verwandtschaft des Echten Ingwers
Zingiber officinale gehört zur artenreichen Familie der Ingwergewächse (Zingiberaceae). Nahe Verwandte des Echten Ingwers sind u. a. die Gewürze Kurkuma (Curcuma longa), Kardamom (Elettaria cardamomum) und Galgant (Alpinia officinarum), aber auch tropische Zierpflanzen wie der Rote Ingwer (Alpinia purpurata) oder der Gelbe Schmetterlings-Ingwer (Hedychium gardnerianum).
Ein spezieller „Ingwer-Garten“ wurde im Botanischen Garten von Singapur angelegt. Über 550 Arten der Ordnung Zingiberales können hier bewundert werden. Dazu gehören z. B. auch Bananen- und Ananasgewächse oder Strelitziengewächse.
Die Pflanze
Die Pflanze stammt aus dem tropischen Klima von Asien – woher genau, ist allerdings nicht mehr festzustellen. Die Vermutungen reichen von Indien und Sri Lanka über Südostchina bis zum Bismarck-Archipel. Ingwer benötigt eine hohe Luftfeuchtigkeit ohne große Temperaturschwankungen, feuchten Boden und Halbschatten. Seine ursprüngliche Wildform scheint ausgestorben zu sein. Aber verwilderte Pflanzen sind häufig anzutreffen. Angebaut wird die Gewürz- und Heilpflanze in vielen tropischen Gegenden, vor allem in Indien und China, aber auch z. B. in Queensland in Australien, in Nigeria und Sierra Leone, auf Jamaika und in Peru.
Das Gewächs ist eine ausdauernde Staude mit einem horizontal kriechenden, geweihartig verzweigten Wurzelstock. Dieser wird als Rhizom bezeichnet und ist eine verdickte Sprossachse, die der Pflanze als Speicher- oder Überwinterungsorgan dient. Aus dieser wachsen etwa ein Meter hohe Stängel (in tropischen Gebieten auch bis zu 1,80 Meter) mit länglich-lanzettlichen Blättern, die der Pflanze ein schilfartiges Aussehen geben. Der Blütenstand, der einer zapfenartigen Ähre ähnelt, sitzt auf einem kurzen blattlosen Trieb. Aus diesem öffnen sich die einzelnen rot-gelblichen Blüten.
Blühende Pflanzen sind selten. Sie können sich über die gebildeten Samen vermehren. Diese Vegetationsphase bis zur „erwachsenen“ Pflanze dauert jedoch sehr lang. Im kommerziellen Anbau wird sie vegetativ durch Teilung des Rhizoms vermehrt.
Die Ernte erfolgt nach 8 bis 10 Monaten. Für einen zarten, nicht faserigen Ingwer wird jedoch auch früher – nach 5 bis 6 Monaten – geerntet.
Anbau zu Hause ist möglich
Wer sich hier in Mitteleuropa seinen eigenen Ingwer heranziehen möchte, kann das in einem Topf in der Wohnung tun – in milden Weinanbauregionen kann es sogar im Freien gelingen. Im zeitigen Frühjahr besorgt man sich einen frischen Wurzelstock mit möglichst vielen „Augen“, aus denen die Pflanze später treibt. Er wird in etwa 5 cm große Stücke geteilt (wobei jedes Stück mindestens ein Auge haben sollte), in einen breiten Topf mit durchlässiger Gartenerde gelegt und dünn mit Erde bedeckt. Um ein feucht-warmes Klima zu erzeugen, kann der Topf bis zum Austrieb der Pflanze mit einer Klarsichtfolie überspannt werden. Die Erde sollte stets feucht sein – Staunässe verträgt Ingwer nicht. Ein heller, aber nicht zu sonniger Platz und eine möglichst gleichbleibende Temperatur sind vorteilhaft. Wenn nach etwa 8 Monaten das Laub zu welken beginnt, kann der Ingwer geerntet werden. Für die weitere Kultur kann man ein Stück wieder in den Topf einsetzen. Der Wurzelstock übersteht bei 10 bis 15 °C ohne Gießen den Winter.
Der NHV Theophrastus setzt sich für die Verbreitung naturheilkundlichen Gedankengutes bei Jung und Alt ein. Seit 2003 kürt der Verein jährlich eine „Heilpflanze des Jahres“, welche durch eine unabhängige Jury bestimmt wird. Vorgänger des Ingwers sind unter anderem Melisse, Anis und Gänseblümchen.
2017
➔ Weitere Ideen und Anregungen zum Thema erhalten Sie unter "Naturheilkundliche Selbstmedikation" von Margret Rupprecht:
"Ingwer – Wohlbefinden für Magen und Darm"
(NHV Theophrastus, 2024)
Verwendete Literatur (Auswahl)
Bäumler, Siegfried: Heilpflanzenpraxis heute, Sonderausgabe der 1. Auflage, Elsevier Urban & Fischer Verlag, München 2007
Brosig, Stefan: Ingwer, Meerrettich und Süßholz in der Pferdefütterung, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2010
Lafer, Johann: Lafers ABC der Genüsse, Gräfe und Unzer Verlag GmbH, München 2012
Leong-Skornickova, Jana (Botanischer Garten Singapur): persönliche Mitteilungen per Mail vom 26.9.2017
Lonicero, Adamo: Kreuterbuch, originalgetreue Wiedergabe des Kräuterbuches 1679, Reprint, Verlag Konrad Kölbl, Grünwald bei München 1962
Mersi, Julia: Ingwer (Zingiber officinale ROSCOE) und Galgant (Alpinia off icinarum HANCE) in der Geschichte der europäischen Phytotherapie, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Medizinischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität-Würzburg, Würzburg, Februar 2011
Schneebeli-Graf, Ruth: Nutz- und Heilpflanzen Chinas, Umschau Verlag Breidenstein GmbH, Frankfurt am Main 1992
Schröder, Rudolf: Kaffee, Tee und Kardamom, Tropische Genussmittel und Gewürze, Eugen Ulmer GmbH & Co., Stuttgart 1991
Schuhbeck, Alfons: Meine Küche der Gewürze, 5. Auflage, Verlag Zabert Sandmann, München 2009
Sukanta, Putu Oka (Naturheilekundiger in Indonesien): persönliche Mitteilungen per Mail vom 8.10.17
Teuscher, E.: Gewürzdrogen – Ein Handbuch der Gewürze, Gewürzmischungen und ihrer ätherischen Öle, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003
Venzlaff, Helga: Der marokkanische Drogenhändler und seine Ware, 1. Auflage, Franz Steiner Verlag GmbH, Wiesbaden 1977
Wichtl, Max (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2009