Paracelsus unterwegs im sächsisch-böhmischen Erzgebirge

Auf seinen Wanderfahrten durch europäische Länder ist Paracelsus um 1520 von Leipzig aus auch durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge geritten. Dabei nutzte er jede Gelegenheit, seine medizinischen Erfahrungen zur Heilung der speziellen Krankheiten der Bergleute zu erweitern.

Besuch eines brennenden Kohlberges und eines Vulkans

Auf seinen Wanderfahrten durch europäische Länder ist Paracelsus um 1520 von Leipzig aus auch durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge geritten. In seinen späteren Schriften erwähnt er nicht die aufblühenden Bergstädte Marienberg und Annaberg, notiert nichts über die neuen obererzgebirgischen Hallenkirchen in Freiberg, Annaberg, Schneeberg oder die dem Humanismus zugewandten Lateinschulen. Er war zu häufig durch neue Bergstädte geritten, vorbei an neuen Kirchen und Schulen. Sein Interesse galt bestimmten Orten, auf die ihn Studenten oder Ärzte, Fuhrleute oder Bergleute, Handwerker oder Bürger neugierig gemacht hatten. Dies waren im erzgebirgischen Revier der brennende Kohlberg bei Zwickau, die Heilwässer im Tal der Eger und Zinngraupenfunde bei Graupen. Dazu nutzte er jede Gelegenheit, seine medizinischen Erfahrungen zur Heilung der speziellen Krankheiten der Bergleute zu erweitern. Für Paracelsus waren „Feuerberge und Kohlenberge“ interessant, „weil sie auf der Erde sind und brennen, obwohl ihr Körper nur Stein und Erdreich ist. Sie können durch kein Wasser gelöscht werden ...“. Er reitet von Leipzig aus die Pleiße aufwärts, bis er die Zwickauer Mulde erreicht. Der „brennenden Kohlberg in Meißen“ (er gehörte ja zum Kurfürstentum Meißen) liegt zwischen Cainsdorf und Oberplanitz bei Zwickau. Dieses brennende Steinkohlenflöz war seit 1476 bekannt. Hier strich ein Flöz über Tage aus. Es soll nach Jägerlatein durch einen „Büchsenschuss in die Grube bei Verfolgung eines Fuchses“ oder wohl doch eher durch Blitzschlag entstanden sein, vermutlich durch Entzündung austretenden Grubengases. Dieses Grubengas Methan bildet, gemischt mit Luft, die sogenannten „schlagenden Wetter“, und diese stellten immer Gefahrenquellen dar. „Dieser Kohlberg hat je und je gebronnen, ohn ablöschlich von Wasser, und des Corpus, in dem dass Feuer brennt, sind sein eigen Stein und des Bergs Erden auch. So nun Gott ein solchs wunderbarlichs Feuer auf Erden macht, so beweisent aber die brennenden Stein, das die Magnalia Gottes wunderbarlich sind; der Stein brennend macht, wärmt auch das Wasser“. Natürlich wurde dieser brennende Berg auch von Georgius Agricola (1494–1555) und Petrus Albinus (1534–1598) beschrieben. Übrigens hat ein Gärtner über der erwärmten Erde bis nahezu in die Gegenwart Südfrüchte in der Geidnerschen Gärtnerei angebaut. Paracelsus interessierte sich sehr für die unterirdische Welt, die er mit Lebewesen bewohnt glaubt. Für ihn sind alle vier Elemente bewohnt. Die sagenhaften Nymphen und Undinen leben im Wasser, Salamander im Feuer und Pygmäen, Gnome und Bergmännlein bevölkern das Erdinnere, Sylphen die Luft. In seinem Buch „Liber de nymphis“ legt er für einige Dichter der Romantik (wie Friedrich Hölderlin, Novalis, Josef von Eichendorf, Karl Immermann u.a.) den Grundstein für so manchen literarischen Stoff: „Seliger ist es zu beschreiben die Nymphen/denn zu beschreiben die Orden (womit er die gesellschaftlichen Stände in Städten und an Höfen meint); Seliger ist zu beschreiben den Ursprung der Riesen/denn zu beschreiben die Hofzucht (also das höfische Ritual); Seliger ist zu beschreiben Melusina, denn zu beschreiben Reitterei und Arthellerei; Seliger zu beschreiben die Bergleut/unter der Erden denn zu beschreiben Fechten und Frauen dienen.“ Weiterhin reitet Paracelsus vom brennenden Kohlberg über den Erzgebirgskamm hinab in das Tal der Eger (heute Ohre). Die Erinnerung an den Ätna kommt auf, denn zwischen Franzensbad und Eger liegt inmitten eines Waldgebietes der 503 m hohe Kammerbühl (heute Komorni hŭrka), ein echter Vulkan. Er entstand als Eruption zu Beginn der Quartiärzeit, gilt also als der „jüngst erloschene Vulkan Mitteleuropas“. Für Paracelsus beruhten vulkanistische Erscheinungen auf „oberflächennahen unterirdischen Feuern“. Im 18. und 19. Jahrhundert haben sich Ignaz Born (1742–1791), J. J. Berzelius (1779–1848), Graf Kaspar von Sternberg und auch J. W. von Goethe (1749–1832) mit dem Ursprung dieses Basaltfelsens beschäftigt.

Im Tal der „sauren Wasser bei Eger“

Das Egertal ist geologisch gesehen eine Tiefenbruchzone. Auf tiefreichenden Spalten im Gestein treten warme mineralische Quellen zutage, sie machen das Egertal zu einem Bäderland. Hier stößt Paracelsus auf heiße Quellen. Die bekanntesten Warmquellen sind Karlsbad (Karlovy Vary, der Kurbezirk liegt im Tal der Tepla) und Teplitz (Teplice), Sauerbrunnen finden sich in Marienbad (Márianskě Lázně) und Franzensbad (Františkovy Lázně). Im 15. und 16. Jahrhundert sollen Jugendliche Mineralwasser in Krügen aus den ersten Sauerbrunnen in die Häuser von Franzensbad getragen haben. Marienbad besitzt heute 140 Quellen, wovon 40 zu Heilzwecken Verwendung finden. Paracelsus untersucht im „sauren Wasser im Moos bei Eger“, welche körperlichen Gebrechen darin und damit geheilt werden könnten. Wir müssen davon ausgehen, dass er mit der Bezeichnung im Tal der Eger das gesamte Revier von Eger, Franzensbad und auch des unweit gelegenen Hochmoores von Soos benennt. Das Hochmoor wurde schon 1558 urkundlich erwähnt, heute hat es eine Ausdehnung von 220 ha und liegt zwischen Soos (Hajek) und Katharinadorf (Katěrina) in unmittelbarer Nähe bei Eger (Cheb) und Franzensbad. Im Moor strömt Kohlendioxid aus trichterförmigen Vertiefungen, sogenannten Mofetten, aus: Nach Regentagen wirbelt es eine breiige Masse hoch. Am Seeboden liegt eine rissige Kieselgurschicht, deren Salzgehalt Pflanzenwachstum verhindert. Die am Rande des Moores sprudelnde, Kaiserbrunnen (Cisarsky pramen) genannte Quelle gilt neben der Veraquelle bei einer Wassertemperatur von 18,4 °C als wärmste des Reviers, wahrscheinlich durch Mischung von Tiefen- und Oberflächenwasser. (Zum Vergleich: Die Wasser in Warmbad und Wiesenbad weisen 20 °C auf.) Kenner bezeichnen die Quellen bei Eger als „Kaliumsauerbrunnen“. Paracelsus: „Der Brunnen zu Eger nimmt sein Seure aus der Fäule des Mooß / hatt ein kleinen anhang von den bemelten Mineralibus“. Dann vergleicht er die Wasser zu „Döpplitz (gemeint Teplitz) in Böhemen / von Baden (bei Wien) in Oesterreich und von Villacher Bad“. Erst stellte er fest, dass „... diese drei Bäder nehmend ein gleichen Ursprung / und kommen aus den Kalchsteinen / jedoch so bringen sie kein Tugend mit ihnen ...“. Dann formuliert er „Die Dopplitz / Oesterreichische Baden / Villach vergleichen sich den Kräften Ligustici“. Eine Untersuchung mittelalterlicher und volkskundlicher Pflanzenbezeichnungen ergab, dass es sich bei Ligusticum um Doldenblütler handelt, die wir als Brustwurz, Engelwurz (Apiaceae) oder Angelika kennen. Nach einem Text der Hildegard von Bingen gilt Ligusticum auch für Liebstöckel, „gegen Druse, im Hals geschwollene Adern“. Diese Wässer gleichen in ihrer Wirkung also den ätherischen Ölen dieser Pflanzen zum Einreiben gegen Rheuma und Gicht. Paracelsus hat diese Erfahrung aus dem Tal der Eger aufbewahrt, bis er sie mit den Erkenntnissen der Bäder von Baden, Pfeffers, Gastein und Villach vergleichen und niederschreiben konnte. Nach Künßberg hat Paracelsus in Mailand Engelwurz gegen die Pest verabreicht. Angelicasaft wirke als höchste Arznei gegen innere Infektionen, als Herzmittel und sei wirksam bei Blähungen. Die moderne Geophysik kennt heute auch einen Zusammenhang zwischen der Hydrochemie der Quellwässer und seismischen Aktivitäten, den sogenannten Schwarmbeben im Vogtland und NW-Böhmen.

Im östlichen Erzgebirge

Unweit von Teplitz, beim Einstieg in die erzgebirgischen Wälder, kam Paracelsus in die Gegend um „Grauppen gegen Brixen“. Er erkundet hier den Südabhang des Erzgebirges zwischen dem Mückentürmchen und Brüx (Most). Verzwillingte Zinnsteinkristalle, sogenannte „Visier- oder Zinngraupen“ gaben dem Ort Graupen (Krupka) den Namen. Graupen gehörte zu den alten Bergrevieren. Es liegt nahe, dass Paracelsus auch den Bergbau im benachbarten Altenberg kennenlernte. Das zinnerzführende Gestein, ein sogenanntes Greisen, wurde von den alten Bergleuten auch Zwitter genannt, weil Teile des ursprünglichen Gesteins erhalten geblieben sind, andere Teile umgewandelt wurden. In Altenberg erfolgte der Abbau anfangs durch Feuersetzen. Der chaotisch betriebene Bergbau (Feuersetzweitungen) führte später zu mehreren Bergstürzen. An der Oberfläche ist heute ein 380 bis 440 m Durchmesser betragender Trichter, die „Altenburger Pinge“, ausgebildet. Das Erzgebirge war reich an Zinnerzvorkommen. Bereits 1250 bewirkten die sächsischen Zinnfunde im Erzgebirge einen Preissturz des englischen Zinns auf den damaligen Märkten. Der Ortsname Seiffen gibt bereits Auskunft über die Bergwerksarbeit jener Zeit. Die Zinngewinnung erfolgte vorwiegend im fließenden Wasser und ruhte im Winter. So entwickelte sich später das Schnitzen aus Freude am Formen des Holzes. Zink und Zinn eigneten sich für neue Legierungen. Für Antimon und Quecksilber nennt Paracelsus Verwendung in der Heilkunde. Eine Stufe „behaimisch Erz Quarz“ hat ihm so gut gefallen, dass man sie nach seinem Tode in seinem Nachlass fand. Seine Gespräche in den Hütten der Bergleute und Schmelzer über ihre sozialen Verhältnisse mögen ihn an seine Kindheit erinnert haben, weil „... auch er seine jugend in armut und hunger verzehrte ... wir werden auch nicht mit feigen erzogen, noch mit met, noch mit weizenbrot, aber mit kes, milch und haberbrot ...“. So fand er genügend Anknüpfungspunkte mit den zu Gesprächsbeginn sicher wortkargen Erzgebirglern, die aber bei Paracelsus’ Gesprächsfreudigkeit recht schnell zu ihm Kontakt fanden. In Erinnerung blieben ihm auch die Sagen von den Zwergen, die im Inneren der Berge die Schätze bewachen, und vom Berggeist, der dem in Not befindlichen Bergmann Hans beistand, weil er ehrlich seine Schicht verfuhr, aber die Hilfe beendete, weil Hans zum Bergbier schwätzte.


NHV Theophrastus, 2002

Foto: Ausschnitt aus dem Annaberger Bergaltar, Hans Hesse, 1522/23. Der Bergaltar steht in der St. Annenkirche zu Annaberg-Buchholz. © wikimedia commons, gemeinfrei